Möwennest-Reihe Gesamtband (German Edition)
aufhalten. Sie hatte bislang überlebt, da würde das Zwicken und Pieken sie nicht mehr umbringen.
Selbst ein niedriger mit Stacheldraht verstärkter Zaun und ein übel riechender Wassergraben vermochten ihren Plan nicht zu vereiteln. In stoischer Ruhe überwand sie die Hindernisse, obgleich sie sich schwach fühlte und mehrmals daran zu zweifeln begann, je lebend zurück in die Zivilisation zu kommen. Ihr Kopf war leer und ihr Körper funktionierte in diesen Augenblicken nur noch … Immerhin tat er es. Das zählte.
Es dauerte, bis sie endlich die verlassene Landstraße erreichte, auf der der Lieferwagen gehalten hatte. Sie hatte das Gefühl, dass seitdem eine Ewigkeit vergangen war, und hatte damit vermutlich gar nicht so unrecht. Monica duckte sich ins Gras und schob sich wachsamen Auges an die Fahrbahn heran. Unter keinen Umständen wollte sie riskieren, gesehen zu werden. Vorsichtig steckte sie den Kopf durch die letzte Grasreihe und ließ den Blick schweifen. Es machte sie nicht sehr traurig, dass sie das Fahrzeug ihrer Entführer nirgends erspähen konnte. Diese Tatsache beseitigte ihre letzten Befürchtungen, die sie auf dem Weg hierher beschlichen und dafür gesorgt hatten, dass sie um jeden Busch einen großen Bogen gemacht hatte.
Die Kerle waren weg und mit ihnen Harry R omdahl und der Verrückte, dessen Namen sie nicht kannte.
Bei dem Gedanken an Harry in der Hand der Entführer überkam sie ein grausiger Schauer.
Sie war mit mehr Glück als Verstand mit dem Leben davon gekommen, doch was würde mit ihm passieren?
„Nichts Gutes jedenfalls“, beantwortete sie die Frage niedergeschlagen, während sie die ersten Schritte auf dem kühlen Asphalt zurücklegte. Sie wusste nur allzu gut, dass sie in diesem Moment rein gar nichts für ihn tun konnte. Gleichwohl sie sich vornahm, schnellstmöglich die Polizei zu informieren, im Augenblick war er unerreichbar weit weg.
Zu allererst stand sie ohnehin vor dem Problem, nicht zu wissen, wo sie sich befand und wohin sie lief. Zwar erinnerte sie sich daran, dass der Lieferwagen nur ein kurzes Stück hinter gefahren war, nachdem man den bewusstlosen Harry und den anderen Kerl eingeladen hatte. Das half ihr aber nicht wirklich. Die Kerle konnten Harry überall erwischt haben. Sicher war zum jetzigen Zeitpunkt nur, dass sie sich mitten in der Nacht bei scheißkalten Temperaturen auf irgendeiner gottverlassenen Straße in Zeeland befand und das stimmte sie nicht sehr zuversichtlich.
Monica setzte einen Fuß vor den anderen und strich sich dabei durchs Haar. D ie roten Locken waren zerzaust und fettig und dort, wo sie ihre verletzte Schulter berührt hatten, mit eintrocknendem Blut verklebt. Sie ließ die Hand schnell sinken und sparte sich die Mühe, sie weiter zu beachten. In diesem Fall würden nur eine Schere und ein guter Friseur helfen können. Statt sich weiter mit ihren Haaren zu beschäftigen, sprang sie im nächsten Augenblick mit einem schmerzerfüllten Schrei auf den Lippen in die Luft. Ein unscheinbar auf der Straße liegendes, spitzes Steinchen hatte sich in ihre linke Fußsohle gebohrt. Fluchend (auf einem Bein hüpfend) entfernte sie es und warf es in den Straßengraben.
Einem ihrer großen Filmhelden wäre selbst in dieser Situation irgendein cooler Spruch eingefallen. Sie dachte dabei unwillkürlich an Bruce Willis, der sich als obercooler Polizist barfuß, schwitzend und blutend durch ein Hochhaus voller Terroristen kämpfte. Der Gedanke frustrierte sie, denn den Überhelden aus ihren Filmen lag irgendwie immer ein lockerer Spruch auf den Lippen. Dabei war es egal, wie schwer verletzt sie sich durch die Handlung schleppten.
Monica hingegen fiel nichts ein … außer: „Scheiße! Scheiße! Scheiße! Tut das weh.“
Humpelnd setzte sie ihren Weg fort. Ihr war zum Heulen zumute. Weil es keinen Sinn machte, mitten in der Einsamkeit von irgendwem oder irgendetwas Mitleid zu erwarten, hielt sie die Tränen zurück, machte ein Trotzgesicht und lief ohne konkretes Ziel weiter am Straßenrand entlang.
Die Fahrbahn ging über in eine lang gezogene Kurve und lief nach einer Weile um eine hoch aufragende Düne herum. Die Straße frustrierte und erweckte bei Monica schon sehr bald den Eindruck, als schlängelte sie sich durch die Landschaft, ohne dabei je irgendeine Ortschaft oder andere Anzeichen von Zivilisation zu passieren. Der Verdacht wuchs mit jedem Meter und wurde schnell zur Vermutung, dass sie irgendwann an dem Punkt ankäme, an dem sie
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