Möwennest-Reihe Gesamtband (German Edition)
hatte. Nämlich, dass es ihre Schuld war, dass diese Kerle Harry in die Finger bekommen hatten. Im Angesicht des bevorstehenden Todes hatte sie denen erzählt, was sie für Inga getan hatte. Erst auf diese Weise waren ihre Entführer Harry auf die Spur gekommen und hatten ihn endlich erwischt. Der Gedanke schmerzte. Er sorgte gleichzeitig dafür, dass sie die letzten Kräfte bündelte. Wenn sie sich beeilte, konnte sie vielleicht noch etwas tun, um Harry zu retten. Sie würde die alte Blumenhändlerin aus dem Bett klingeln müssen, aber das wäre das geringste Übel.
Monica atmete tief ein und machte sich auf den Weg. Vorbei an überfüllten Camping- und Bungalowanlagen hetzte sie von der Landstraße auf den Lageweg und bog von dort aus in den Steenweg . Ingas Blumenladen war das letzte Gebäude der Straße, die kurz danach die Dünen hinauf und dann zum Strand hinunter führte.
Das kleine Geschäft lag hinter dem Dorfladen, an dessen Front eine digitale Anzeige Monica mitteilte, dass derzeit nur kalte 7°C herrschten und es kurz nach drei Uhr in der Nacht war. Knapp sechs Stunden zuvor hatte sie müde von der Arbeit die Tür ihrer Wohnung hinter sich zu fallen lassen. Jetzt schleppte sie sich die letzten Meter und kam endlich vor Ingas Häuschen zum Stehen. Diese Nacht hatte sie an Orte gebracht, die sie nicht wiedersehen wollte und bis sie bemerkte, dass die Tür des Ladens einen spaltbreit offen stand, ahnte sie nicht, dass diese Station ihrer Odyssee keine Ausnahme bilden würde. Zwar waren ihr der zerbrochene Blumentopf vor dem Laden und die überall verteilte Blumenerde aufgefallen, sie schob diesen Umstand allerdings dem Wetter zu.
Monica war drauf und dran am Seil für die Türglocke zu ziehen, da fuhr eine weitere Windböe durch die Straße, erfasste das leichte Holz und ließ die Tür unter dem Quietschen der Scharniere ein Stück zur Seite schwingen.
Just an dieser Stelle w urde ihr ein wenig mulmig. Sie wischte ihre Zweifel (so gut sie konnte) beiseite und trat ein. Als sie in die Dunkelheit des Ladens huschte und der Druck auf einen nahen Schalter nicht für das erhoffte Licht sorgte, wurde dieses Gefühl stärker.
Nur der Gedanke an Harry Rohmdahl, der ohne sie zweifelsohne verloren war, ließ sie durchhalten. Sie ermahnte sich, ruhig zu bleiben. Offene Haustüren und defekte Deckenlampen mussten nicht zwangsläufig etwas zu bedeuten haben.
Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, während sie sich durch den Verkaufsraum tastete und dabei nach allen Geräuschen lauschte, die ihr unnatürlich erschienen.
Der Klimbim , den die alte Frau neben Blumen und Pflanzen feilbot, hatte Monica fasziniert, seit sie das erste Mal mit ihrer Mutter hier gewesen war. Daran hatte sich seitdem – und das lag mindestens zehn Jahre zurück – nichts geändert. Jetzt allerdings war nicht die Zeit in Erinnerungen und Faszination für die Einrichtung zu verfallen.
Konzentrier dich, Monica.
Die Durchgangstür an der Rückwand stand offen, allerdings brannte in dem dahinter liegenden Flur kein Licht. Darüber hinaus herrschte im Haus eine Geräuschlosigkeit, die Monica beunruhigte. Sie konnte ihr Atmen hören und selbst das kam ihr hier drin brüllend laut vor. Langsam näherte sie sich dem Flur, bis sie genau davor stand. Weil der Durchgang kein Fenster besaß, starrte Monica in beinahe undurchdringliches Schwarz. Einzig ein schmaler Lichtspalt am Ende des Ganges machte ihr ein wenig Mut. Sie verscheuchte die inneren Zweifel und marschierte in die Düsternis.
Nur ungefähr erinnerte sie sich an die Aufteilung der einzelnen Räume hier. Sie meinte sich daran zu erinnern, dass Inga Heemsteddes Koch- Ess- und Wohnbereich im rückwärtigen Teil des Hauses lag, den man durch den Flur erreichen konnte. Genau dort brannte das Licht. Das gab Monica ein bisschen Zuversicht zurück, die sie längst verloren geglaubt hatte. Dass Inga um diese Zeit wach war, bezweifelte sie. Möglicherweise war sie dort hinten in einem Sessel eingeschlafen oder so. Es war jedenfalls an der Zeit es herauszufinden.
Monica kümmerte sich nicht länger um irgendwelche inneren Einwände, die sich beharrlich in ihr Bewusstsein drängten wie Schwärme lästiger Mücken an einem lauen Sommerabend.
Sobald sie Inga gefunden hätte, würde diese ihr helfen, so oder so. Und wenn es nur die Erlaubnis war, das Telefon zu benutzen.
Entschlossen marschierte Monica auf die Tür zu, drückte den Knauf und öffnete sie. Die Helligkeit war im ersten
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