Möwenspur
dass wir die Förmlichkeiten
weglassen. Ich heiße Marc.“
„Kommt mir sehr entgegen,“ antwortete Kerber und
fuhr fort, „Ewen“, dabei reichte er Marc die Hand.
„Also Ewen,“ begann Marc mit seinem Bericht, „der
eine junge Mann hieß Pierre Jaouen. Er lebte in Paris
und war Anlageberater bei einer Bank. Er hat wohl
eine Menge fauler Papiere an sorglose Kunden vermittelt und dafür größere Summen an Vermittlungsgebühren kassiert, das könnte ein Motiv für seine Ermordung sein. Der zweite Mann dürfte wohl ein gewisser Jules Garrec sein. Er war bei derselben Bank
beschäftigt wie Pierre Jaouen.“
„Interessant Marc, aber auch ich habe eine Neuigkeit,
das Motiv betreffend. Beide Männer waren an einer
Vergewaltigung vor einigen Jahren beteiligt. Ich lebe
seit kurzem mit einer Frau zusammen, deren Tochter
von diesen beiden Männern vergewaltigt worden ist.
Sie erkannte die Opfer gestern im Fernsehen. Da ihr
die Nachnamen der Männer nicht bekannt waren,
konnte der Fall nie abgeschlossen werden. Ihre
Freundin, die damals ebenfalls vergewaltigt worden
war, hatte sich kurz danach das Leben genommen.
Nur sie kannte die Männer näher und hätte uns ihre
Identität nennen können. So blieb das Verbrechen
ungesühnt. Insgesamt waren damals vier Männer an
der Vergewaltigung beteiligt.“
„Das gibt dem Fall eine neue Wendung, aber damit
gehören deine Partnerin und ihre Tochter zu dem
Kreis der Verdächtigen.“
„Stimmt, das war auch mein erster Gedanke. Aber
inzwischen ist klar, dass die beiden nichts damit zu
tun haben. Als der zweite Mord geschah saßen wir
den ganzen Abend zusammen in einem Restaurant.“
Marc Louvin überlegte. Das war natürlich ein Alibi
für alle drei, aber wäre es möglich, dass sein Kollege
gemeinsam mit seiner Freundin und deren Tochter die
Morde begangen hatte? Für Marc war es ein Motiv,
das durchaus auch ein gemeinschaftliches Verbrechen
einschloss. Er ließ Ewen an seinen Überlegungen aber
nicht teilhaben.
„Nun, dann müssen wir unsere Suche auch in diese
Richtung ausdehnen, ich war bis jetzt von einem betrogenen Anleger ausgegangen.“ Marc Louvin sah den
Kollegen an.
„Ich gebe dir durchaus recht, auch der Verlust eines
kleinen Vermögens oder der Ersparnisse könnten einen Mord zur Folge haben.“, meinte Ewen und fuhr
fort, „Ich komme gerade aus Kerliou und habe mir
den Ort nochmals genauer angesehen. Mich stört immer noch, dass wir weder das Auto noch das Portemonnaie der beiden Toten gefunden haben. Ich habe
ergebnislos nach den Fahrzeugen in der Umgebung
gesucht. Es befinden sich nur wenige Häuser an dem
Küstenabschnitt. Von denen ist zurzeit beinahe die
Hälfte unbewohnt. Es handelt sich um Ferienimmobilien, die wohl nur im Sommer oder in den Urlaubszeiten genutzt werden. Aber ich habe bei keinem der verschlossenen Häuser ein Fahrzeug gesehen. Auch in
den Zufahrtsstraßen konnte ich kein Auto mit einer
eher fremden Nummer finden. Jetzt, da ich weiß, dass
es sich bei den beiden Ermordeten um Pariser handelt,
können wir gezielt nach Autos mit einer 75 im Nummernschild Ausschau halten.“
„Veranlass das bitte sofort Ewen, vielleicht finden wir
die Fahrzeuge ja. Ihr Standort könnte uns eventuell
bei der Suche nach dem Mörder weiterhelfen. Möglicherweise finden wir ja auch die zwei fehlenden
Portemonnaies in den Fahrzeugen. Mir ist unverständlich, warum jemand sein Fahrzeug verlässt, den Autoschlüssel mitnimmt und sein Portemonnaie zurücklässt. Aber wer weiß, welche Erklärungen sich dafür
finden lassen.“ Marc sah Ewen fragend an.
„Ja, ich kann mir vorstellen, dass sie ihnen abgenommen worden sind oder, dass sie sie verloren haben.“
„Oder, dass sie sie bewusst irgendwo zurückgelassen
haben.“
Marc Louvin war mit seinen Gedanken schon wieder
etwas vorausgeeilt. Warum, so hatte er sich überlegt,
geht jemand mit Anzug und Krawatte und in Schuhen,
die sich nicht für einen solchen Spaziergang eignen,
am Abend an der Küste spazieren, wenn das Tageslicht schon abnimmt. Für ihn gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder die Männer hatten keine anderen
Schuhe im Gepäck oder aber sie hatten diese Kleidung
bewusst gewählt, aus welchen Gründen auch immer.
Der Fall gab jedenfalls genügend Rätsel auf.
„Ihr solltet die Bewohner dieser Kerliou-Straße befragen. Vielleicht hat ja jemand etwas Auffälliges bemerkt.“ Marc sah Ewen an und wartete auf eine Antwort.
„Das habe ich gerade vorhin angeordnet, Marc. Wahrscheinlich sind meine Kollegen
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