Möwenspur
nicht, warum sie in diesem Augenblick darauf gekommen war. Es schien ihr jetzt erst bewusst zu werden, dass sie beide ein Motiv für die Morde
hatten. Eine Vergewaltigung war aus ihrer Sicht ein starkes Motiv, und es würde auch ein starkes Motiv aus der
Sicht der Polizei darstellen.
„Auf keinen Fall Carla, aber ich muss dir ehrlich sagen,
dass meine Kollegen dich bestimmt befragen werden und
auch nach einem Alibi fragen. Leider gilt das ebenso für
Marie.“ Ewen sah Carla an und hoffte, dass er sie damit
nicht schockiert hatte.
Carla schüttelte nur den Kopf.
„Nein, bitte nicht Marie. Mich könnt ihr natürlich befragen, ich habe nichts dagegen und kann das auch verkraften. Aber versuche, Marie damit nicht zu belasten.“
Sie sah Ewen fast flehend an.
„Wann sind denn diese Morde genau passiert?“
„Der letzte Mord geschah gestern, so gegen 21 Uhr und
der erste am 7. Mai, kurz nach halb 10 Uhr abends.“
antwortete Ewen.
„Also gestern…“, meinte Carla, „gestern…, wo war ich
da am Abend?“
Ihre Miene hellte sich auf und sie sah, dass auch Ewen
plötzlich wieder gelöste Gesichtszüge bekam.
„Da waren wir doch alle…“
„Zusammen in der kleinen Crêperie in der Ville Close!“
ergänzte Ewen den von Carla begonnenen Satz. Sie lachten vor Freude über das Alibi, dass sie sich gegenseitig
geben konnten. Sie hatten erst gegen Mitternacht das
Restaurant verlassen und Ewen hatte Marie nach Hause
gefahren. Wie konnte er das nur vergessen haben? Damit
waren Carla und Marie aus der Sache heraus und er
konnte problemlos weiter an dem Fall arbeiten. Warum
nur war ihm dies nicht eingefallen als er mit Paul gesprochen hatte. Er musste diese Neuigkeit seinem Kollegen sofort mitteilen.
*
Julie sah, wie sich der Zeiger der Zwölf näherte und so
beschloss sie, ihren Computer auf den Schoß zu nehmen
und sich auf ‚chat.fr‘ einzuloggen. Jetzt war Lolita 23
online. Es dauerte nur wenige Minuten und sie sah, dass
ein gewisser ‚Tiger‘ mit ihr in Kontakt treten wollte.
„Hallo Lolita 23, die Uhr zeigt jetzt Mitternacht und ich
habe eine Stunde Zeit, wie ich es dir gesagt habe.“
„Hallo Tiger, kein sehr origineller Name, Robert wäre
mir da lieber.“
„Du heißt doch bestimmt auch nicht Lolita 23, oder?“
„Stimmt, aber man möchte ja ein wenig Anonymität behalten“
„Ja, aber du kennst meinen richtigen Namen ja bereits.
Wie wäre es, wenn du mir deinen verraten würdest?“
„Nicht so schnell, wir kennen uns ja noch nicht einmal
richtig.“
„Das kann sich ganz schnell ändern. Wo wohnst du? In
Paris, in New York oder vielleicht sogar in China?“
„Ha, ha, ha! Nein nicht in Paris und auch nicht in China. Seit wann sprechen die Chinesen französisch? Schon
etwas weiter von Paris entfernt, aber dafür in einer
schönen Gegend.“
„Was machst du denn so, wenn du einmal nicht gerade
chattest?“
Robert Le Floch versuchte, von dieser Lolita wenigstens
ein paar
Informationen
über
ihren Beruf
oder
ihren
Standort herauszubekommen. Am frühen Abend, als er
die Email erhielt wollte er zuerst überhaupt nicht antworten, dann war seine Neugierde aber doch stärker gewesen. Was war das für eine Frau, die ihm einfach schrieb,
ihm eine Mail sandte und mit ihm chatten wollte, nur
weil ihr sein Bild auf Facebook aufgefallen war? Natürlich schmeichelte es ihm.
Er hatte längere Zeit in seinem Büro zugebracht und war
von dort aus auf Facebook gegangen um seine Mails
anzusehen. Er hatte mit seinen dreißig Jahren beruflich
eine gute Position. Als Abteilungsleiter einer renommierten Investmentgesellschaft verdiente er sehr gut. Er
war ein überzeugter Single und genoss es, ständig neue
Kontakte mit Frauen zu knüpfen. Nachdem er mit dieser
Lolita 23 ausgemacht hatte, sich um Mitternacht in einem Chatroom zu treffen, hatte er das Büro verlassen,
war mit seinem Porsche in sein Lieblingsrestaurant gefahren und hatte noch schnell etwas gegessen. Kochen
war nicht gerade seine Leidenschaft und so besuchte er
beinahe täglich ein Restaurant und genoss die verschiedenen angebotenen Spezialitäten. Heute Abend sollte es
die indische Küche sein. Er liebte es, etwas schärfer zu
essen und da war er bei seinem „Inder“ genau richtig.
Anschließend
fuhr er in seine Wohnung, öffnete eine
Flasche Mouton Rothschild und genoss den Wein. Er
hätte sich auch früher mit dieser Lolita verabreden können, aber wer sich rarmacht, macht sich interessant war
seine Devise. Vielleicht würde ihr Interesse an ihm
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