Möwenspur
16
Jean-Marie Morvan saß im TGV von Toulouse nach
Paris und freute sich seines Lebens. Er hatte seit gestern Urlaub und wollte zunächst einige Tage in der
Bretagne verbringen. Die Einladung von Isabelle war
verlockend. Danach würde er seine Freunde mit einem
Besuch überraschen, die er seit über einem Jahr nicht
mehr gesehen hatte. Sein Entschluss, diese Reise nicht
mit dem Auto zu unternehmen war rasch gefallen.
Von Toulouse in die Bretagne waren es über 700 Kilometer. Zudem würde er dort kein Auto benötigen.
Er hatte Isabelle vor einem Monat hier in Toulouse
kennengelernt und sich in sie verliebt. Isabelle wollte
ihn vom Bahnhof in Rosporden abholen und wieder
zur Bahn bringen. Ihr Angebot, eine Woche bei ihr zu
verbringen fand er einfach super. Jean-Marie war
schon jetzt freudig erregt diese schöne Frau wieder zu
sehen. Vor knapp vier Wochen war er nach der Arbeit,sowieeresimmermachte kurz nach 17 Uhr auf
den ‚Place du Capitole‘ gegangen und hatte sich an
den letzten freien Tisch auf die Terrasse der ‚Brasserie‘ gesetzt. Er hatte gerade Platz genommen als diese bildschöne junge Frau an seinen Tisch trat und
fragte ob sie sich wohl zu ihm setzen dürfe, da alle
anderen Tische belegt waren. Jean-Marie hätte niemals nein gesagt, schon gar nicht bei so einer Frau.
Sie setzte sich zu ihm und blätterte ganz desinteressiert in einem Journal. Als der Kellner kam, bestellte
er einen Campari Orange und die Frau ihm gegenüber
einen Kaffee. Jean-Marie wollte unbedingt ihre Bekanntschaft machen und sprach sie an.
„Entschuldigen Sie wenn ich Sie so anspreche, aber
ich habe selten Gelegenheit an einem Tisch mit einer
so schönen Frau zu sitzen. Kommen Sie aus Toulouse?“
„Sie sind ja sehr direkt, aber danke für das Kompliment. Nein, ich bin nicht aus Toulouse, ich komme
aus der Bretagne und verbringe einige Tage bei meinem Onkel hier.“
„Was machen Sie? Sind Sie in der Modebranche?“
„Ach wo denken Sie hin. Nein, ich studiere Betriebswirtschaft in Rennes.“
„Ist Rennes eine schöne Stadt? Ich kenne Rennes
nicht.“
„Für mich ja, aber mit Paris oder mit anderen großen
Städten kann Rennes nicht mithalten.“
„Das muss die Stadt sicher auch nicht. Ich mag Toulouse zum Beispiel auch sehr und das nicht nur weil
ich hier arbeite.“
„Was
machen
Sie,
wenn
ich
fragen
darf?“
„Ich konstruiere zurzeit gerade das größte Flugzeug
der Welt, den A380 von Airbus.“
„Wow, sie bauen den A380?“
„Nun, nicht alleine ich bin einer von mehreren hundert Ingenieuren, die daran beteiligt sind.“
„Das ist bestimmt sehr aufregend. Wenn man an einem Flugzeug arbeitet auf das die ganze Welt schaut,
dann ist man bestimmt stolz auf seine Arbeit.“
„Nun, ein wenig vielleicht.“ Jean-Marie war sehr
glücklich, bei Airbus an diesem riesigen Flugzeug
mitbauen zu dürfen. Es war sogar sein ganzer Ehrgeiz
gewesen in diese Mannschaft zu kommen. Aber das
konnte er ja jetzt nicht so einfach zugeben.
„Verzeihen Sie meine Direktheit, aber ich würde
Sie gerne zu einem Abendessen einladen und Sie näher kennenlernen. Würden Sie mir diese Freude bereiten?“
Julie schien zu zögern und hatte ihren Kopf bereits
andeutungsweise geschüttelt, als sie dann doch zusagte.
„Warum nicht, aber ich sage Ihnen sofort, es wird bei
dem Abendessen bleiben.“
„Natürlich, ich habe an nichts anderes gedacht!“ log
Jean-Marie. Diese Frau verzauberte ihn. Mit seinen
dreißig Jahren war er immer noch Junggeselle. Die
Frau fürs Leben hatte er noch nicht gefunden. Aber
diese Frau,dieihmhierinderBrasserieaufdemPlace du Capitole gegenüber saß, die hätte es sein können.
„Ich kenne hier ein ganz hervorragendes Restaurant.
Genau gegenüber, schauen Sie.“ Jean-Marie zeigte auf
das Grand Hotel de l’Opéra.
„Das Restaurant ‚les Jardins de l’Opéra’
gehört zu den
besten in Toulouse. Der Koch ist ein gewisser Stéphane
Tournié. Wenn Sie einverstanden sind dann reserviere
ich uns sogleich einen Tisch.“ Jean-Marie holte sein
iPhone aus der Tasche, suchte sich die Telefonnummer
des Restaurants und wählte. Er schien nicht zum ersten
Mal dieses Restaurant zu besuchen.
Er hatte Glück, für den Abend gab es gerade noch einen
Tisch für zwei Personen. Ansonsten war das Restaurant
ausgebucht.
„Es hat geklappt, ich freue mich jetzt schon auf den
Abend. Dabei habe ich mich noch nicht einmal vorgestellt und ich kenne auch Ihren Namen noch nicht. Mein
Name ist Jean-Marie Morvan.“ Er sah die, in seinen Augen
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