Mogelpackung: Roman
teil, das Missverständnis ist aus der Welt. Und nun gehen wir zum Feierabend über. Ohne Schule, versprochen! Haben Sie schon etwas zu trinken bestellt? Ich bevorzuge italienische Rotweine. Der französische wird meines Erachtens überschätzt. Darf ich Ihnen den Montepulciano empfehlen?«
»Sie dürfen«, grinste Helena.
Ihr Kollege grinste entzückt zurück und winkte den Kellner heran.
Ich bin tatsächlich ein ganz kleines bisschen nervös, gestand sich Fredo ein. Ein Date mit der Flamme aus dem Konfirmandenunterricht, da flattert man doch wie mit fünfzehn. Zumal die Verabredung mit Katrin Gehrke/Weller/geschiedene Weller unter Aufbietung der Enthemmungsfaktoren Zweisamkeit und Cocktails stattfinden würde. Das hätten sie sich vor zwanzig Jahren nicht getraut. Dafür lohnte es sich doch, erwachsen zu werden.
Heute war Donnerstag. Date-Day. Allerdings erst kurz vor Mittag. Er stand vor Markus’ weit geöffnetem Kleiderschrank und wählte für den Abend ein flott geschnittenes Sportsakko und eine leichte Leinenhose, für jetzt sofort Jeans und Sweatshirt. Einen Blumenstrauß sollte er für Katrin besser auch noch besorgen, fiel Fredo ein. Das ließe sich gleich erledigen, wenn er Karla von der Schule abholte.
Um diesen Gefallen hatte ihn Karla gestern gebeten. Nach dem Mittagessen hatte sie gewartet, bis Gesche und Tim die Küche verlassen hatten, und Fredo dann angesprochen. »Ich muss morgen aus dem Kunstunterricht eine große Papprollenskulptur mit nach Hause nehmen. Auf dem Fahrrad kriege ich das nicht unfallfrei hin – kannst du mich fahren? Um vierzehn Uhr, Treffpunkt Schulparkplatz?«
Fredo hatte sofort zugesagt. Erstens war es ja keine große Sache. Zweitens freute es ihn, von Karla um Hilfe gebeten zu werden. Seit er in Bornstedt war, hatten sie kaum miteinander gesprochen. Fredo kam es sogar so vor, als ginge ihm seine Nichte ganz bewusst aus dem Weg. Im Prinzip störte ihn das nicht so sehr. Aber immer, wenn sie sich im Haus begegneten, fiel Fredo ein, wie wenig er eigentlich über Karla wusste. Allerdings begegneten sie sich nicht sehr oft. Und Karla schien ja auch keine großen Probleme zu haben. Immerhin war sie nun mit einem kleinen Problem zu ihm gekommen, da half er ihr gerne. Fredo sah auf die Uhr: Viertel vor zwei.
Zeit zum Abholen.
»Nein, die große Klassenarbeit schreiben wir frühestens Ende nächster Woche. Montag erst mal den Vokabeltest.«
Ein Haufen aufgeregter Fünftklässler bedrängte Helena Anatol auf ihrem Weg durch die Aula. Für die Kinder war Englisch das neue Schulfach und daher noch eine große Sache. Jedenfalls für die Mädchen. Von den Jungen waren die meisten längst nach draußen gerannt, um die besten Plätze im Schulbus zu besetzen oder sich zu Fuß oder per Fahrrad schleunigst auf den Heimweg zu begeben. Die Mädchen wollten alles ganz genau wissen: Vokabeltest über alle Lektionen ihres Schulbuchs oder nur die letzten beiden? Wie viele Vokabeln werden abgefragt? Wie lange würden sie schreiben? Zählte der Vokabeltest nur halb so viel wie die Klassenarbeit? Ginge er in die schriftliche oder in die mündliche Bewertung ein? Die Lehrerin stand geduldig Rede und Antwort, bis die Meute endlich von ihr abließ. Fünftklässler sind anstrengend, fand sie – aber Mittelstufenschüler, die sich überhaupt nicht mehr für den Unterricht interessieren, sind noch anstrengender.
Sie rückte ihre Umhängetasche zurecht, die ihr im Eifer des Gefechts von der Schulter gerutscht war, und strebte dem Ausgang entgegen. Im Korridor zum Lehrerzimmer stand Köhler im Gespräch mit Kollegen, er entdeckte Helena und winkte ihr gut gelaunt zu. Helena winkte zurück, schob die große Glastür auf und trat ins Freie.
Der Abend gestern in der Pizzeria war wider Erwarten recht angenehm verlaufen. Köhler – Wolfgang, verbesserte sich Helena, man war nach der Flasche Montepulciano zum Du übergegangen – hatte sich von seiner besten Seite präsentiert. Vielleicht besaß er sogar gar keine schlechte. Er war noch keine vierzig Jahre alt, lebte unverheiratet und kinderlos in einer kleinen Eigentumswohnung, nahm seinen Beruf offenbar ernst und zeigte Interesse für moderne Kunst und Städtereisen – damit konnte er bei Helena schon mal punkten. Außerdem schien er Kinder tatsächlich zu mögen, denn in seiner Freizeit trainierte er sogar noch eine Jugendfußballmannschaft. Die Art und Weise, in der Köhler – Wolfgang – ihr begeistert von »seinen Jungs« vorgeschwärmt
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