Mogelpackung: Roman
Papprollenkunstwerk im Fond, danach auf Karla, die stocksteif in den Sitzpolstern lehnte und stur geradeaus sah.
»Da hast du aber was Feines gebastelt«, lobte Fredo übertrieben onkelhaft.
Wortlos langte Karla nach ihrer Schultasche und feuerte sie auf die Rückbank, wo sich die Monsterkreation unter dem Granateneinschlag augenblicklich in sämtliche Einzelteile zerlegte.
»Blumen? Wie süß! Hach, wenn du an so etwas schon vor zwanzig Jahren gedacht hättest …«
»Da hättest du mir auch keine Cocktails serviert.«
»Weil du nach dem ersten Drink schon zu blau zum Küssen gewesen wärest!«
»Jetzt bin ich stocknüchtern«, offenbarte Fredo treuherzig und hielt Katrin auffordernd die Wange hin. Sie lachte und küsste ihn sanft. Züchtig auf die dargebotene Wange. So züchtig, wie es eben möglich war, wenn man aussah wie Katrin mit Mitte dreißig und die Bluse so weit offen stehen ließ wie die Katrin mit fünfzehn. Außerdem trug sie Shorts. Und zwar, beurteilte Fredo mit Kennerblick auf die makellosen Beine, völlig zu Recht.
»Komm rein. Ich dachte, wir setzen uns noch auf die Terrasse.«
Das »noch« hörte sich ziemlich bedeutungsschwanger an, fand Fredo, als er Katrin durch Flur und Wohnzimmer zur Terrasse folgte. So wie: noch mal kurz draußen durchlüften, und dann aber ab ins Haus und nix wie rein ins Bett. Aber vielleicht vernebelten Shorts, Dekolleté und eigene Hormone bloß seine Wahrnehmung. Wäre nicht das erste Mal. Lass den Kopf eingeschaltet, ermahnte sich Fredo. Bist doch keine fünfzehn mehr. Zum Glück.
Auf der großen Terrasse standen keine Stühle. Dafür gab es ein hölzernes Gebilde aus zwei doppelsitzigen Bänken, einander gegenüber hängend in einem Gestell, welches nach dem Prinzip einer Schiffsschaukel konstruiert war.
»Setz dich«, forderte Katrin ihn auf, »ich hole die Drinks. Magst du eine Caipirinha?«
»Sehr gerne«, sagte Fredo und bestieg eine der Schaukelbänke, während Katrin wieder im Haus verschwand. Fredo versetzte die Schaukel in sanfte Schwingung und atmete durch. Alles sehr friedlich. Und da Knödel nicht zu Hause war, ballerte auch keiner gegen irgendwelche Schuppentüren. Sehr erholsam. Nebenan hatte er sich heute Nachmittag nicht so entspannt gefühlt.
Auf der Rückfahrt von der Schule hatte Fredo vergeblich auf eine erklärende Äußerung Karlas gewartet und sie schließlich selbst auf den Grund für die wiederholte Kuss-Attacke angesprochen. Es ginge um eine Wette, hatte das Mädchen endlich zögerlich erklärt. Die hätte sie verloren und deshalb einen Jungen küssen müssen. Irgendeinen. Einen Fremden oder gar einen Mitschüler habe sie nicht abknutschen mögen. Bei Fredo blieb es ja irgendwie in der Familie und deshalb harmlos, und da die anderen nichts von ihrer Verwandtschaft wussten, konnte sie so ihre Wettschuld elegant begleichen. Und warum, wollte Fredo wissen, gleich zweimal? Weil beim ersten Mal nur Juliane Zeugin war und die anderen ihr nicht glauben wollten. Aber nun sei alles erledigt – also bitte, Schwamm drüber.
Fredo hatte genug Telenovela-Folgen erfunden, um fast jede unsinnige Geschichte für potentiell möglich zu erachten. Karla in diesem Fall nicht zu glauben hätte ihm auch nicht weitergeholfen, denn seine Nichte signalisierte deutlich, dass damit alles gesagt sei. Nach dem Essen zog sie sich sofort in ihr Zimmer zurück und ward für den Rest des Tages nicht mehr gesehen. Fredo fand trotzdem keine Ruhe, denn zu Tim kam wieder mal Patrik Stenzel, der Fürst der Finsternis. Vermutlich zelebrierten die beiden schwarze Messen oder dergleichen, denn aus Tims Zimmer tönte an diesem Nachmittag zur Abwechslung mal nicht Rammstein, sondern ein teuflisch schrilles Violinenkonzert – auf voller Dröhnung, wie üblich.
Doch jetzt, hier auf Katrins Terrasse, war alles gut. Fehlte nur die Dame des Hauses, aber die ließ nicht lange auf sich warten. Katrin erschien mit zwei perfekt gemixten Caipirinhas und setzte sich damit ganz unkompliziert neben Fredo auf die Bank. Der interpretierte das als Steilvorlage und legte ihr spielerisch die Hand um die Schultern. Katrin ließ das nicht bloß zu, sondern kuschelte sich behaglich bei Fredo an, während sie sich zuprosteten und tranken.
»Hier sitzt man gut«, stellte Fredo fest. »Nette Schaukel.«
»Kommt aus Finnland«, meinte Katrin. »Beutestück von Paul. Mein Ex.«
»Dein Beutestück? Oder Pauls?«
»Erst Pauls, jetzt meins. Paul hat die Lebendbeute behalten. Eine Finnin,
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