Mogelpackung: Roman
Karton! Bitte!«
Das kam lauter heraus als beabsichtigt.
Unwillkürlich hielten die Geschwister den Mund, sogar Gesche saß plötzlich kerzengerade und mit erhöhter Aufmerksamkeit da. Fredo stellte die Flasche ab, atmete einmal durch und sprach dann weiter, nun sehr viel ruhiger. »Ich wollte nicht einfach bloß mal wieder mit euch zusammen zu Mittag essen. Es gibt auch etwas zu besprechen. Es geht um dich, liebe Gesche.«
Gesche sah ihren Enkel alarmiert an. »Ich wüsste nicht, was es über mich zu besprechen gäbe!«
»Ich möchte einfach«, erklärte Fredo, »dass du mehr Hilfe von uns bekommst. Zum Beispiel, dass jeder von uns mal kocht – nicht immer nur du.«
»Schönen Dank auch.« Gesche schob angewidert ihren Teller von sich, den sie ohnehin kaum angerührt hatte.
»Also, ich finde Gesches Pfannkuchen klasse!«, beteuerte Tim sofort, und seine Schwester fühlte sich ausnahmsweise zu einem beipflichtenden Nicken animiert.
»Ich mag die Pfannkuchen auch«, räumte Fredo ein. »Aber hier geht es ja nicht um einen Kochwettbewerb, sondern um Arbeitsteilung. Und darüber hinaus möchte ich, dass du immer einen von uns hier bei dir zu Hause hast, Gesche.«
»Ich brauche keinen Aufpasser!«, protestierte Gesche.
»Ich setz mich doch nicht zur Alten aufs Sofa und glotz Florian Silbereisen«, erboste sich Karla. Diesmal nickte Tim zur Verstärkung.
»Keiner soll den Aufpasser spielen. Nur für den anderen da sein, falls man gebraucht wird. Ich bin heute da, den ganzen Tag. Morgen auch, und ich koche dann wieder …«
»Gerne aus der Dose«, bemerkte Tim eilfertig. »Oder Tiefkühlpizza.«
Karla steckte sich angewidert zwei Finger in den Mund und imitierte Würgegeräusche.
Fredo ignorierte den Vorschlag ebenso wie die obszöne Geste. »Aber am Samstag bin ich unterwegs, wohl bis abends.«
»Macht nichts. Ich bin ja da«, warf Gesche spitz ein.
»Schön.« Fredo ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Dann kannst du kochen, und einer hilft dir. Tim?«
»Ich bin am Samstag mit Patrik verabredet. Ist wichtig!«
»Was ihr macht, kann ja wohl nur wichtig sein«, höhnte Karla.
»Karla, was hast du vor?«
Sie schüttelte ihre honigmelonenfarbene Mähne und zuckte mit den Schultern. »Nichts weiter. Bin da.«
»Bestens. Sonntag bin ich wieder frei.« Fredo lächelte zufrieden. »Seht ihr, war doch gar nicht so kompliziert.«
Tim und Karla werteten das als Zeichen zum Aufbruch vom Mittagstisch. Sie knallten ihr Geschirr in die Spülmaschine und rempelten im Bestreben, jeder zuerst aus der Küche zu kommen, in der Tür aneinander. Unter wechselseitigen Beleidigungen verzogen sich die Geschwister hinauf in ihre Zimmer. Zurück blieben Fredo und Gesche. Unter ihrem eisblauen Blick wurde Fredo nun doch etwas unwohl.
»Ist doch viel besser so und tut niemandem weh«, rechtfertigte er sich.
Gesche verzog keine Miene. »Du kannst ja doch kämpfen«, stellte sie fest. »Ausgerechnet, wenn’s gar nicht nötig tut. Ich brauche keinen Aufpasser.«
»Wenn es nicht nötig tut, kannst du es ja ganz locker sehen. Noch ein bisschen von den Auberginen?«
Gesche stand auf und ließ demonstrativ ihren Teller stehen. »Ich hab noch Kuchen oben. Vielleicht läuft ja eine Wiederholung mit Florian Silbereisen. Und mit etwas Glück erwischt mich auf dem Sofa ein Herzinfarkt. Dann brauchst du dir gar keine Sorgen mehr machen.«
Fredo wartete, bis Gesche die Küche verlassen hatte. Dann holte er eine angebrochene Flasche Barolo aus dem Küchenschrank und genehmigte sich ein Glas. Guter Tropfen. Im Augenblick hätte er allerdings sogar eine Portion Pennerglück aus dem Tetrapak als tröstlich empfunden. Nachdem er die Küche aufgeräumt hatte, schenkte er noch einmal nach, stellte die Flasche zurück und wechselte mit dem Glas ins Wohnzimmer aufs Sofa.
Wie lange war er eigentlich schon wieder hier in Bornstedt? Einen Monat – nein, sechs Wochen, rekapitulierte Fredo. Halbzeit, sozusagen. Und alles eine Baustelle: die pubertierende Karla mit ihren Liebeswirren, der schräge Tim mit seinen Schulproblemen und dem Müllzimmer, Gesche mit den Demenzattacken. Urlaub sah anders aus. Fredo konnte sich nicht erinnern, sich jemals zuvor über einen so langen Zeitraum so viele Gedanken über die Probleme anderer gemacht zu haben. Wo blieb er selbst dabei? Katrin wäre wohl keine Dauerpartnerin für ihn, aber bestimmt ein prickelndes Abenteuer gewesen. Gut, das hatte er dann mit Helena erlebt. Die wiederum war nicht die Richtige
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