Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
sich an die Stirn, Du bist zu jung für heiraten, sagt Djamila, Mira schüttelt traurig den Kopf, Hans erklärt Zakias Freund, dass eine Heirat mit einem EU -Bürger für viele Asylwerber der letzte Rettungsanker sei. Ich spüre eine Hand auf meiner Schulter und erkenne Djaafar an meiner Seite. Aber Aaaaliii, sagt Isabel gedehnt und entwindet mir ihre Hand, es ist nichts als Mitleid in ihren Augen, und in diesem Augenblick beginnt sich alles zu drehen. Isabel, der Onkel, Djaafar, Mira, der Raum, das Haus mit seinen Bewohnern, alles beginnt um mich zu kreisen. Ich sehe uns plötzlich alle auf einem Karussell sitzen, wir reiten auf schwarzen, weißen oder bunt gescheckten Pferden, das Karussell dreht sich, schwungvolle Musik tönt aus den Lautsprechern, wir winken einander zu, sind fröhlich und ausgelassen, die Sonne scheint. Runde um Runde reiten wir, der Wind zerzaust unsere Haare, der Himmel ist blau und wolkenlos, das Karussell dreht sich und dreht sich. Irgendwann habe ich jedoch genug, auch die anderen scheinen langsam die Lust am Rundendrehen zu verlieren und warten darauf, dass das Karussell zum Stillstand kommt. Ich winke dem Mann an der Kasse und rufe ihm zu, er möge die Fahrt beenden, doch er scheint mich nicht zu verstehen, er lacht nur und winkt zurück. Er legt einen Hebel um, und statt stehen zu bleiben wird das Karussell schneller, auch die Musik beschleunigt sich mehr und mehr, wird lauter und lauter, der Mann an der Kasse lacht dröhnend. Ich umschlinge den Hals meines Rappens, ich sehe die angsterfüllten Gesichter der anderen, die sich an ihre Pferde klammern, doch irgendwann ist die Fliehkraft zu groß. Liu ist der Erste, dessen Hände sich von der Mähne seines Pferdes lösen, er wird hinausgeschleudert und verschwindet aus meinem Blickfeld, Pitra ist die Nächste, gefolgt von Amal und Djaafar. Einer nach dem anderen fliegt davon, ich halte mich am längsten, doch schließlich werde auch ich hinausgeschleudert, nicht seitlich, sondern nach oben, ich steige in den blauen Himmel auf, rasend schnell zunächst, doch nach und nach verlangsamt sich der Aufstieg, ich sehe das Karussell weit unter mir, die Musik ist immer noch zu hören, es beginnt zu regnen, und der Regen schmeckt nach Zuckerwatte.
18
Das alte Jahr endet mit einem weiteren Fest. Wieder wird gemeinsam eingekauft, vorbereitet, gekocht und gegessen, wenn auch mit weniger Aufwand als eine Woche zuvor. Stimmungsmäßig herrscht allerdings von Anfang an Tiefdruckwetter, das unschöne Ende der Weihnachtsfeier wirkt nach, es sitzt manchem in den Knochen wie Rheumatismus an feuchtkalten Tagen. Die letzten Stunden des Jahres schleppen sich dahin, die Minuten lassen sich Zeit, als wollten sie das Unvermeidliche vermeiden, als fürchteten sie sich vor dem Sprung im Kalender. Endlich ist es so weit, der Countdown beginnt, auch die Sekunden haben es nicht eilig, zehn, und auch ich fürchte das neue Jahr, neun, und nichts wird mehr so sein, wie es war, acht, und alles geht den Bach runter, sieben, man wird uns einsperren, sechs, man wird uns fortschicken, fünf, es wird nie wieder eine Frau in meinem Leben geben, vier, ich werde Mönch, drei, warum kann man die Zeit nicht zurückdrehen, zwei, kann es überhaupt noch schlimmer werden, eins, es kann, es kann, es kann!
Das Läuten der Pummerin begrüßt die Österreicherinnen und Österreicher im neuen Jahr des Herrn. Doch ihr Herz schlägt nicht für uns, nein, für uns läuten die Alarmglocken, doch keiner will hören. Feuer fällt vom Himmel, ein weiteres, untrügliches Zeichen, wir sehen es vom Dach unseres Hauses, der Himmel gleißt rot und gelb und grün und blau, der ohrenbetäubende Lärm, der manche gerade erst dem Krieg Entflohenen in Schrecken und Angst versetzt, vertreibt das alte Jahr, wo er doch lieber das neue zum Teufel schicken sollte. Wieso bist du so pessimistisch, fragt Nino. Ich bin noch viel zu optimistisch, antworte ich, und Nino tippt sich wieder einmal an die Stirn, an der schon eine deutliche Delle zu sehen ist. Auch der Donauwalzer erklingt nicht für uns, zwar hängt er wie eine Wolke über der ganzen Stadt und ist für alle zu hören, doch wer nicht hier geboren ist, den drückt er zu Boden mit bleiernem Ton.
Auch am nächsten Vormittag geht es ganz österreichisch weiter, mit philharmonischer Fernsehwalzerseligkeit zunächst, bis Adolphe, des Dreivierteltaktes überdrüssig, auf einen Sportsender umschaltet, anschließend spricht der Bundespräsident zu den lieben
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