Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Österreicherinnen und Österreichern, wir sind nicht lieb, uns hat er nichts zu sagen, auch die Neujahrswünsche anderer Politiker in den Zeitungen gelten nicht für uns Unerwünschte Minderwärtige Fremdkörper. Doch den Wettlauf um die Erstgeburt im neuen Jahr gewinnen wir, die wir keine lieben Österreicherinnen und Österreicher sind, WIR SIND NEUJAHRSBABY, oder vielmehr Babys, denn es handelt sich natürlich um Drillinge, die jungen Herren, deren Erster zwei Minuten nach Mitternacht Licht am Ende des Tunnels erblickt, hören auf die Namen Deniz, Mehmet und Bülent, weitermachen, meine Herren, weitermachen!
Für Mira beginnt das neue Jahr dort, wo das alte geendet hat: zwischen zwei Männern. Nach dem Weihnachtsfest war Mladko ein paar Tage verschwunden, Tage, in denen Mira zwischen Sorge und Wut schwankte, Sorge, er könnte sich etwas angetan haben, Wut, weil er ihr das antat. Kurz vor dem Jahreswechsel tauchte er wieder hier im Haus auf und machte nicht nur einen verwahrlosten, sondern auch leicht verwirrten Eindruck. Mira saß gerade mit uns beim Mittagessen, er kam auf sie zu, kniete vor ihr nieder und nahm ihre Hand. Steh’ auf, sagte Mira auf Serbokroatisch zu ihm, komm, gehen wir ins Büro. Sie selbst erhob sich, man konnte sehen, dass ihr die Situation peinlich war. Nein, sagte er, so viel Zeit habe ich nicht. Er zog sie wieder auf den Sessel und bat sie um Verzeihung, er würde nie wieder nachfragen, wer nun der Vater ihres Kindes sei, es sei ihm egal, Hauptsache, sie seien wieder zusammen. Mira gab keine Antwort, schließlich gelang es ihr doch, Mladko zum Aufstehen zu bewegen und ins Büro zu schleifen, dort blieben sie auch eine Weile.
Und jetzt, das neue Jahr ist gerade ein paar Tage jung, sitzen sie wieder einmal in Miras Wohnung am Küchentisch, Alenka schläft, ich bin auf meinem üblichen Beobachtungsposten. Du hast mich ja nie … nie für tot erklären lassen, oder, will Mladko wissen. Mira schüttelt den Kopf. Warum eigentlich nicht? Sie zuckt mit den Schultern. Ich hab’ gewartet, sagt sie dann und vermeidet es, Mladko dabei anzusehen, ich habe lange Zeit geglaubt, du kommst zurück. Und dann kam ich nach Österreich und wollte neu anfangen, wollte mit … mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben. Du hättest eine Witwenpension bekommen können. Mira zuckt wieder mit den Schultern. Die paar Groschen hätten mir nicht weitergeholfen. Mladko setzt ein verschrobenes Lächeln auf. Rein rechtlich gesehen sind wir also immer noch verheiratet, meint er. Und, was willst du damit sagen? Mladkos Ausdruck wird wieder ernst. Ich möchte in Österreich bleiben, weißt du, ich möchte hier arbeiten. Ich möchte nicht wieder zurück … ich … ich kann nicht mehr zurück. Mira richtet sich auf, ihr ganzer Körper ist plötzlich auf Abwehr eingestellt, sie schüttelt den Kopf. Nein, Mladko, neinnein. Warum nicht, fragt er ganz bestürzt, als hätte er nicht mit Ablehnung gerechnet. Mladko, du warst mehr als zehn Jahre weg, du hast mich im Glauben gelassen, du wärst tot – und jetzt sollen wir von heute auf morgen wieder ein Ehepaar sein? Es geht mir nur um den Aufenthalt, beteuert Mladko, um die Möglichkeit, in Österreich zu bleiben. Aha, vor ein paar Tagen sagtest du noch: Hauptsache, wir sind zusammen.
Mira steht auf, räumt schweigend den Tisch ab und stellt Teller und Besteck in die Spüle, dann setzt sie sich wieder. Mladko fasst nach ihrer Hand, doch sie zieht sie zurück. Ich … ich werde dir bestimmt nicht auf … dir bestimmt nicht zur Last fallen, sagt er, ich verspreche es. Aber kannst du mir nicht eine Chance geben? Die Chance, mir hier in Österreich ein neues Leben aufzubauen – so, wie du selbst das getan hast? Mira steht wieder auf und geht zum Fenster, sie blickt hinaus auf den kahlen Götterbaum im Hof, dessen Äste im Wind schwanken. Lass mich ein paar Tage drüber nachdenken, sagt sie dann.
Ein paar Tage später spricht sie mit Lukas über das Thema. Glaubst du wirklich, dass es ihm nur um den Aufenthaltsstatus beziehungsweise um die Staatsbürgerschaft geht, fragt er. Mira gibt keine Antwort. Ich kann weder sie noch Lukas sehen, die beiden sind im Betreuerzimmer, die Tür ist geschlossen, doch ich habe das Ohr wie immer an der richtigen Stelle. Vielleicht denkt er, dass du dich wieder an ihn … gewöhnen würdest, wenn ihr erst wieder zusammen seid. Ich hab’ dir doch schon gesagt, dass ich nicht mit ihm zusammenleben will, antwortet Mira gereizt. Aber du wirst
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