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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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vielleicht so tun müssen, als ob, zumindest für gewisse Zeit – du weißt genau, dass die Fremdenpolizei schnüffeln kommt, wenn es um Ehen mit Drittstaatsangehörigen geht. Das weiß ich, aber unsere »Ehe« – die Anführungszeichen sind auch durch die Wände hindurch deutlich zu hören – besteht ja schon seit mehr als fünfzehn Jahren, und für eine Scheinehe wäre das doch ein bisschen lang. Du musst dich erkundigen, sagt Lukas, ich habe keine Ahnung, wie die Behörden mit solchen Fällen umgehen. Die wahrscheinlich auch nicht, gibt Mira zurück, denn so etwas wird wohl nicht alle Tage vorkommen.
    Sie wechseln das Thema, sprechen über die Probleme einzelner Schützlinge, über andere Hausinterna, dann kehrt die Unterhaltung wieder zum Ausgangspunkt zurück. Wie willst du das Wohnproblem lösen, fragt Lukas. Ich hab’ Mladko schon gesagt, dass er nicht bei mir wohnen kann, schon allein wegen Alenka nicht. Vielleicht gibt’s als Übergangslösung hier im Haus irgendein Zimmer für ihn, meint Lukas, unten bei den Erwachsenen, nicht hier im Leo. Ja, ich hab’ schon mit Heli gesprochen, das wird zumindest für ein paar Wochen möglich sein.
    Der Lehrer scheint wieder einmal nicht an sich halten zu können und seine Schülerin überfallen zu wollen. Bitte, hör’ auf, du weißt, wohin das führt, wehrt sie ihn ab, hab’ noch ein bisschen Geduld. Mladko wird bald übersiedeln, dann ist meine Wohnung wieder frei. Und dann? Dann bist du verheiratet, und wir begehen Ehebruch, meint der Lehrer. Den haben wir in den vergangenen Monaten auch begangen, gibt Mira zurück. Ja, aber ohne es zu wissen. Wir werden sehen, sagt sie dann. Kurz darauf verlässt Lukas das Büro und geht mit sichtlich enttäuschter Miene Richtung Treppenhaus davon.
    Seit dem Neujahrstag fegt ein eisiger Wind über die Stadt, kein Mantel und keine Kopfbedeckung schützen davor, er dringt durch Kleidung und Haut bis auf die Knochen. Er weht von den griechischen Säulen des Parlaments herüber, man hat dort ein ganzes Paket an Gesetzen für uns geschnürt und es allen Fremden in diesem Land als verspätetes Weihnachtsgeschenk überreicht. Ich warne meine Genossinnen und Genossen davor, das Paket zu quittieren: Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes, rufe ich ihnen entgegen, doch mein Ruf verhallt ungehört, die Tore werden geöffnet, das Geschenk in die Stadt gebracht. Wir schauen dem Gaul zwar nicht ins Maul, doch der Geruch, der Letzterem entströmt, verrät schon genug, und das neue Jahr ist noch keine drei Wochen alt, als die listenreichen Krieger dem danaum fatale munus entsteigen und in die schlafende Stadt eindringen.
    Ich träume. Es ist sechs Uhr morgens, stille Nacht also, alles schläft, einsam wacht nur Hans-Jörg, der traute zivile Diener in der Portierloge, der die beiden Fremdenpolizisten in den vierten Stock schickt. Zwar versucht er sofort, unser Betreuerteam per Telefon zu warnen, doch vergebens, das Büro ist um diese Zeit noch nicht besetzt, der sonst so penible Haluk hat vergessen, das Mobiltelefon ins Betreuerzimmer mitzunehmen. Als er schließlich das Läuten des Telefons aus dem Büro hört und schlaftrunken auf den Gang hinaustritt, ist es schon zu spät. Wo finden wir Herrn … Liu … Xingjian, buchstabiert der ältere der beiden Polizisten mühsam. Der Schlaf entweicht mit einem Mal aus Haluks Körper. Wieso, was wollen Sie … was hat er …? Wir haben einen Schubhaftbefehl, unterbricht ihn der Beamte. Das kann nicht sein, das Verfahren läuft noch, protestiert Haluk, es gibt eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof, wir … Wir haben einen Schubhaftbefehl, wird er wieder unterbrochen, das ist alles, was für uns zählt. Das gibt’s nicht, empört sich Haluk, man kann nicht Jugendliche einsperren zusammen mit Verbrechern …
    Er schließt die Tür zum Büro auf, geht zum Schreibtisch und greift zum Telefon. Bitte warten Sie einen Moment, sagt er zu den Beamten, die ihm folgen, ich muss mit meinem Chef sprechen. Das wird auch nix ändern, meint der jüngere der beiden Männer mit süffisantem Lächeln. Das gibt’s doch gar nicht, murmelt Haluk mehrmals vor sich hin, während er auf His Master’s Voice am anderen Ende der Leitung wartet.
    Ich wache auf. Es ist kurz vor sieben Uhr, draußen ist es noch finster, doch ich bin, ich weiß nicht warum, hellwach. Yaya und Kamal sind nicht im Zimmer, auch das ist für diese Uhrzeit ungewöhnlich, nur Djaafar schläft noch. Es ist still draußen, doch in der Luft

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