Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Pausenglocke die Stunde der Wahrheit ein, den Schlägern schlägt die Stunde, und wir stehen bereit. Das Haus füllt sich mit Geräuschen und Stimmen, die ersten Eiligen laufen die Treppe herunter, Djamila ist eine von ihnen. Sie kommen gleich, japst sie atemlos vom Laufen, dann verlässt sie das Gebäude, um nicht mit mir zusammen gesehen zu werden. Und da sind sie schon, die ersten beiden Freundchen, sie schlendern langsam die Treppe herunter und unterhalten sich. Hey, ihr zwei Scheißkerle, kommt mal her, provoziere ich sie. Sie bleiben stehen, Überraschung im Blick, dann setzen beide das gleiche abschätzige Grinsen auf. Was willst du, du Scheißnigger, fragt der Größere der beiden. Der Nigger muss euch etwas zeigen. Ich mache eine einladende Handbewegung, drehe mich halb zur Kellertreppe um und gehe ein paar Schritte darauf zu. Sie zögern. Na, was ist, ihr Hosenscheißer, habt ihr Angst vor mir? Sie wechseln einen Blick, dann setzen sie sich in Bewegung. Und schon sind Yaya und Murad und Kamal und Djaafar zur Stelle, und schon haben Freundchen 1 – Markus – und Freundchen 2 – Thomas – schwarze Säcke über dem jeweiligen Hohlkopf, und gleich werden sie die Kellertreppe hinabgestoßen, und keiner hat’s gesehen, und niemand war dabei.
Dieses war der erste Streich, und der zweite folgt sogleich. Freundinchen 3 und 4, Jessica und Gabi mit Namen, kommen plaudernd die Treppe herunter, blond die eine, braun die andere. Nicht Provokation, sondern Charme ist diesmal gefragt, die Sache ist also ein Heimspiel für mich. Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau’n, singe ich für die beiden, noch dazu, wenn sie so hübsch sind wie ihr, füge ich mit Honigstimme hinzu. Sie schmelzen natürlich dahin, wie könnte es anders sein. Markus und Kevin haben gebeten, dass ihr kurz auf sie wartet, belüge ich sie, sie kommen gleich wieder und haben eine Überraschung für euch. Während ich spreche, mache ich ein paar Schritte zur Kellertreppe hin, um aus der Sichtweite anderer Schüler zu gelangen, die beiden Mädchen folgen zögernd, und schon werden auch sie von starken Armen gepackt, auch ihnen stehen die schwarzen Säcke ganz ausgezeichnet, und auch mit ihnen geht es bergab.
Freundchen 5 lässt sich Zeit, ich fürchte schon, er ist uns entwischt oder gar nicht zur Schule gekommen, doch dann geht auch er uns in die Falle. Nino, Oma und ich eskortieren ihn hinunter ins Kellerverlies, wo die anderen uns schon erwarten. Die Entführungsopfer sind gefesselt, geknebelt und vorschriftsmäßig an die Heizungsrohre gebunden. Gute Arbeit, lobe ich meine Mitkämpferinnen und -kämpfer, während auch Nummer 5 mit dem schönen Namen Kevin angebunden wird. Sie lächeln stolz und halten sich brav an das vereinbarte Schweigegebot, um sich nicht durch stark akzentbeladenes Deutsch zu verraten. Ich bin der Einzige, der spricht, ich bin der Einzige, der keine Strumpfmaske und keine Handschuhe trägt, meinen schönen samtbraunen Teint sollen die Fünf Freunde ruhig sehen, meine Tarnung besteht nur aus einer Schirmkappe, einer Sonnenbrille und einem hübschen Clark-Gable-Bärtchen, das muss genügen, mir kann man ja ohnehin nichts anhaben.
Ihr fragt euch wahrscheinlich, was wir von euch wollen, trete ich auf die fünf Gefesselten zu. Allgemeines Kopfnicken. Und ihr würdet wohl gerne wissen, wer wir sind. Wieder zustimmendes Genicke. Nun, wir sind die ETA , das steht für Extra-Terrestrische Aktionsgemeinschaft, jetzt wisst ihr es. Wir sind die RAF , soll heißen Ruchlose Ausländische Fieslinge, jetzt ist es draußen. Wir sind die al-Qaida, meine Süßen, und ich bin Osama bin Laden, ihr habt mich sicher schon im Fernsehen gesehen, aber dort trage ich immer lange Bärte und viel Make-up; doch so wie ich jetzt vor euch stehe, so sehe ich wirklich aus. Solltet ihr hier lebend rauskommen, könnt ihr euren Vätern und Müttern und später einmal euren Enkelkindern erzählen: Ich habe Osama bin Laden von Angesicht zu Angesicht gesehen, ich wurde von Osama bin Laden persönlich entführt. Das, meine Lieben, kann nicht jeder von sich behaupten.
Die Augen unserer Freunde werden größer und größer. Okay, okay, jetzt sage ich euch die Wahrheit. In Wahrheit sind wir nämlich die UMF , die Union des Misanthropes Fervents; da ihr aber wahrscheinlich des Französischen nicht mächtig seid, übersetze ich das für euch ins Deutsche: Wir sind die Unzufriedenen Missgelaunten Fremdenlegionäre, manchmal nennen wir uns aber auch Übelriechende
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