Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
greift nach der Zigarettenschachtel. Stranger In My Arms, by Rochelle Alers, lese ich auf dem Cover. Nun, die Auswahl an Fremden im Haus könnte größer nicht sein, der Erfüllung von Amals Sehnsüchten steht also nichts im Wege.
Wovon hast du eigentlich geträumt, fragt sie ganz unvermittelt. Ich habe nicht geträumt, will ich ganz automatisch abwehren, doch dann, ich weiß eigentlich nicht warum, entscheide ich mich anders. Ausgerechnet Amal, die sonst so sehr in ihren Kokon aus Problemen eingesponnen ist, fragt mich danach, ausgerechnet ihr, mit der mich wenig verbindet, erzähle ich nun also von dem Traum, der mich seit Wochen verfolgt. Und das wirklich Eigenartige, schließe ich meine Erzählung: Dieser Traum hat nichts mit mir zu tun. Es ist nicht meine Geschichte, von der ich da träume, sondern die Geschichte irgendeiner anderen, mir völlig unbekannten Familie.
Amal sagt nichts. Sie zieht mit den Lippen die nächste Zigarette aus der Schachtel, bietet mir ebenfalls eine an, ich lehne dankend ab. Sie zündet ihre an, nimmt einen tiefen Zug und bläst den Pesthauch durch die Nase wieder heraus. Ich habe auch manchmal Albträume, sagt sie dann. Es ist immer derselbe Traum. Zwei Männer und eine Frau kommen eines Tages in unser Haus und sprechen mit meiner Mutter, sie kommen wieder, und beim dritten Mal geben sie meiner Mutter Geld, und sie schickt mich mit den dreien fort. Amal will weitersprechen, doch dann scheint sie es sich anders zu überlegen. Schweigend sitzen wir einander eine Weile gegenüber, schließlich geht jeder in sein Zimmer und versinkt in einen tiefen Schlaf ganz ohne Träume.
Heute möchte ich euch von einem jungen Mädchen erzählen, das von seiner Mutter verkauft wurde, beginne ich am Tag darauf in Pitras guter Stube meine Geschichte. Schon wieder so eine traurige Geschichte, beschwert sich Halima, doch ich ignoriere ihren Einwurf natürlich. Ich habe drei Portionen von Pitras göttlicher Fischsuppe verspeist, ich muss dafür bezahlen und kann mich dabei nicht nach den Be- und Empfindlichkeiten jedes einzelnen Anwesenden richten. Ich weiß nicht, wie das Mädchen heißt, fahre ich fort, aber nennen wir sie Neneh. Neneh lebt in einem kleinen Dorf irgendwo im Westen Afrikas, sie ist ungefähr vierzehn Jahre alt, als eines Tages zwei fremde Männer und eine Frau im Dorf auftauchen. Sie entsteigen einem großen, glänzenden Auto, sind schön gekleidet, sie kommen aus der Stadt. Sie sprechen mit einigen Frauen im Ort, unter anderem auch mit Nenehs Mutter. Neneh weiß nicht, worum es dabei geht, sie fragt auch nicht nach, als die drei wieder fort sind. Ein oder zwei Wochen später sind sie erneut da, wieder besuchen sie einige Häuser, eine Stunde später fahren sie in Begleitung zweier Kinder davon. Beim dritten Mal kommen sie wieder zu Nenehs Haus.
Nenehs Mutter ist arm. Sie hat acht Kinder zur Welt gebracht, drei sind gestorben, die anderen fünf kann sie kaum ernähren, der Vater ist verschwunden, sie ist müde und krank, mit ihren eingefallenen Wangen sieht sie fast aus wie eine Greisin. Sie packt ein paar Kleidungsstücke in eine schäbige Tasche. Da, sagt sie zu Neneh, du wirst eine Weile bei der Tante in der Stadt wohnen, dort wird es dir viel besser gehen als hier im Dorf. Die Tante zwingt sich zu einem kurzen Lächeln, bevor ihr Mund sich wieder verhärtet. Die Männer überreichen der Mutter einen Briefumschlag. Sei brav und mach’ immer, was die Tante sagt, gibt sie Neneh mit auf den Weg, Neneh nickt automatisch, ohne wirklich zu verstehen. Dann sind sie im Auto, Neneh sitzt steif und unbeweglich neben der Tante auf der Rückbank, sie hat Angst, irgendetwas in dem blank polierten Wagen zu beschmutzen. Wie lange soll ich bei dir bleiben, fragt sie. Wir werden sehen, antwortet die Tante.
Neneh bleibt mehrere Monate bei der Tante. Sie wohnt in einem großen Haus und teilt ein Zimmer mit einem zweiten Mädchen, auch sie kommt aus einem kleinen Dorf, ihre Eltern sind gestorben. Im Haus gibt es einen Fernseher, die beiden sitzen den ganzen Tag davor, die Bilder aus Europa und Amerika gefallen ihnen. Trotzdem ist Neneh traurig und möchte zurück zu ihrer Mutter und ihren Geschwistern. Das nützt dir auch nichts, sagt die Tante jedes Mal, wenn Neneh weint, deine Mutter ist sehr krank, sie kann sich jetzt nicht um dich kümmern. Eines Tages kommt die Tante ins Zimmer, sie macht ein ernstes Gesicht. Du musst jetzt tapfer sein, sagt sie und legt Neneh den Arm um die Schulter. Neneh
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