Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
nicht weitergehen, Genossinnen und Genossen, sage ich beim ersten Treffen des von mir einberufenen Revolutionskomitees. Das Treffen findet im Fußballzimmer statt, meine Mitbewohner sitzen auf dem Boden oder lehnen an der Wand, ich stehe, ich gehe auf und ab, ich spreche und gestikuliere und setze alles daran, sie von der Notwendigkeit des Handelns zu überzeugen. Wir dürften uns nicht länger gefallen lassen, dass man uns in Wartesäle sperre, versuche ich sie in mehreren Sprachen wachzurütteln, wir hätten Lius Abschiebung verhindern müssen, die Aktionen, die der Staat setzt, mögen geltendem Recht entsprechen, doch wir hätten das wahre Recht auf unserer Seite. Wir dürften uns nicht einfach zur Schlachtbank führen lassen, wir alle hätten Besseres verdient, als durch den Fleischwolf der Geschichte gedreht zu werden. Und wie sollen wir das tun, Herr Revolutionsführer, unterbricht Nino frech meine Brandrede. Rotkäppchen, natürlich, wie könnte es anders sein. Du solltest dich schämen für deine antirevolutionäre Gesinnung, Genossin Ninotschka, weise ich sie zurecht, sie tippt sich an die Stirn, doch sie schweigt, und ich setze meine Rede fort. Am Ende habe ich alle auf meine Seite gezogen, selbst Murad, und es ist mir sogar gelungen, Amal und Yaya ein wenig aus ihrer Lethargie zu holen. Nino schmollt noch, doch ich weiß, dass auch sie sich nicht ausschließen wird, wenn es darauf ankommt, ich weiß, dass in Ninotschka in Wirklichkeit eine gute Revolutionärin steckt. So, Genossinnen und Genossen, beende ich das Treffen, nun aber an die Arbeit! Noch ist es zu früh für den offenen Kampf – die Revolution, sie will erst im Stillen vorbereitet sein, bevor sie auf die Straße getragen wird. Noch sind wir zu wenige, um uns in die offene Schlacht zu wagen – aber für ein kleines Scharmützel reicht es allemal, und die Pferde für den Probegalopp sind gesattelt und aufgezäumt.
19
Ich habe Djamila vor Weihnachten versprochen, mich um die Probleme mit ihren Mitschülern zu kümmern. Die fünf Quälgeister haben zwar nach Zakias Intervention eine Verwarnung vom Schuldirektor bekommen, doch sie scheinen Djamila trotzdem nicht in Ruhe zu lassen. Mein Versprechen muss ich natürlich einlösen, und wer nicht hören will, muss fühlen.
Ich hole Djamila am nächsten Tag von der Schule ab, wir stellen uns hinter eine Säule in der Eingangshalle, ihre Mitschüler streben dem Ausgang zu, ganz unauffällig zeigt sie mir jedes der fünf Freundchen, die ihr von Beginn an das Leben schwer gemacht haben. Auch an den folgenden Tagen komme ich zurück und mache mich im Stillen mit dem Gebäude und den aus- und eingehenden Menschen vertraut. Der Schulwart, der gerne dem Reben- und Gerstensaft zuspricht und nach dem Genuss selbiger Substanzen die mediterrane Tradition der Siesta pflegt, legt bei seiner Arbeit nicht gerade die größte Sorgfalt an den Tag. Nicht jede Tür wird nach getaner Arbeit versperrt, und so kenne ich bald fast alle Räume des mehrstöckigen Gebäudes. Im Keller entdecke ich genau den richtigen Raum für unser Vorhaben, einen alten Kohlenkeller, der dem Augenschein nach schon lange nicht mehr verwendet wird. Auch bei uns im Leo laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren, ich habe meine Genossinnen und Genossen in meinen Plan eingeweiht, habe die Rollen verteilt, wir proben fast jeden Tag für den Ernstfall, schließlich kommen alle mit in Djamilas Schule, um den zukünftigen Tatort auch mit eigenen Augen kennenzulernen.
Und dann ist der große Tag da: It’s D-Day, it’s V-Day, it’s Heyday, it’s Mayday, Letzteres natürlich nur für die Fünf Freunde, doch sie werden wohl vergeblich notrufen, they can call 911 as much as they want, hahaha, nobody will come to their rescue! Mit einem Lied auf den Lippen ziehen wir in den Kampf: Wir sind die Schnitter der kommenden Mahd, wir sind die Zukunft und wir sind die Tat, uns’re Stärke, uns’re Tugend ist die Solidarität, wir sind die Flüchtlingsjugend, die zusammensteht. Lautlos und unbemerkt dringen wir in das Gebäude ein, die Eingangshalle liegt still und leer vor uns, der Schulwart sitzt wie jeden Tag um diese Zeit beim Mittagessen. Wir nehmen unsere Plätze am oberen Absatz der Kellertreppe ein, gut verborgen vor den Blicken von Schülern und Lehrern, die bald aus den oberen Stockwerken ins Erdgeschoss herabsteigen und dem Ausgang zustreben werden, nur ich postiere mich ein paar Meter von der Kellertreppe entfernt in der Halle. Und dann läutet die
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