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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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Menschenfressende Fehlgeburten oder Unpässliche Menstruierende Fräuleins, je nach Anlass, Mondphase und Lust und Laune. Aber merkt euch einfach UMF , das schafft selbst ihr, denn solltet ihr den heutigen Tag überleben, dann werdet ihr in Zukunft vielleicht noch öfter von uns hören.
    Es ist mir zwar nicht recht, dass ich allein die ganze Rederei erledigen soll, es entspricht nicht meinem Naturell, doch ich füge mich in mein Schicksal und spreche weiter. Ach ja, ihr wollt ja auch wissen, warum wir heute hier an diesem schönen Ort zusammengekommen sind. Ich ziehe eine Schere aus meiner Jackentasche, gedämpfte Entsetzensschreie kommen aus gestopften Mäulern, Augen weiten sich. Nun, zunächst einmal wollen wir euren Skalp, meine Lieben. Die Entsetzensschreie werden lauter, die Augen weiter, die Schere, sie kommt näher. Wir haben nämlich alle auch ein bisschen indianisches Blut in unseren Adern, müsst ihr wissen, das lässt sich einfach nicht unterdrücken, auch wenn man’s noch so sehr versucht. Ich packe den Kopf von Gabi, der Blondschopf rüttelt und schüttelt sich, doch schon halte ich die erste Haarsträhne in der Hand. Seht ihr, meine Lieben, wir sind ja bescheiden, wir wollen ja gar nicht euren ganzen Skalp, sondern nur eine Locke von jedem. Ich schnappe mir Locken Nummer 2 und 3. Wir sind zwar vielleicht Misanthropen, aber wir haben doch ein weiches Herz, beruhige ich unsere werten Gefangenen, auch Locke Nummer 4 ist schon des daran fixierten Kopfes beraubt, nur Nummer 5 macht Schwierigkeiten, Kevin, natürlich, wer sonst, Kevin hat nämlich gar keine Locken, sondern ein blondes Stoppelfeld auf dem strohgefüllten Kopf. Mit kunstfertigen Scherenhänden schlage ich also zwei Schneisen in Form eines Hakenkreuzes in das Feld.
    Ich rede noch eine Weile auf die Fünf Freunde ein, dann nehmen wir ihnen die Mobiltelefone ab, stellen jedem eine Wasserflasche mit Strohhalm hin, sodass sie auch ohne Zuhilfenahme der Hände trinken können, schließlich gebe ich das Signal zum Aufbruch. Seht ihr, wir sind ja keine Unmenschen, wir lassen euch Wasser hier. Ach ja, wenn ihr selber Wasser lassen wollt, dann lasst es einfach raus, ihr werdet sehen, das Gefühl ist ein ungemein Befreiendes. So, und nun wollen wir euch nicht länger stören, meine Lieben, ihr habt ja vielleicht heute noch Besseres vor, als euch mein Gerede anzuhören. Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, Schwestern, zum Lichte empor, hell aus dem dunklen Vergang’nen leuchtet die Zukunft hervor, so singen wir, während wir die Kellertreppe nach oben fliegen.
    Wir vertreiben uns die Zeit in einem Park in der Nähe der Schule. Es dauert nicht lange, bis die erste besorgte Mutter anruft, es ist natürlich Kevins Mutter. Wo bleibst du, will sie wissen. Hallo, hier spricht Karl-Heinz, melde ich mich, Kevin ist gerade auf dem Klo, deshalb kann er nicht ans Telefon. Er sollte schon längst zu Hause sein, das Essen wartet auf ihn, informiert mich die Mutter in ärgerlichem Ton. Aber wir lernen doch heute gemeinsam den ganzen Nachmittag, und dann gehen wir ins Kino, hat Kevin Ihnen das nicht gesagt? Was? Davon war überhaupt nicht die Rede. Kevin soll mich gleich zurückrufen. Ich werd’s ihm ausrichten, natürlich, gerne, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, gnädige Frau.
    Ganz ähnlich verlaufen die Gespräche mit anderen Müttern oder – im Fall von Jessica – Großmüttern. Kurz danach tippe ich in die Tasten der einzelnen Telefone: Komme erst nach dem Kino nach Hause; die neuerlichen Anrufe verärgerter Angehöriger werden schlicht und einfach ignoriert. Dafür werden die Mobiltelefone anderweitig verwendet: Sie werden von meinen kindischen Genossen bestaunt, die die verschiedenen Funktionen und Spiele ausprobieren, bis Nino schließlich auf die glorreiche Idee kommt, Nachrichten zu verschicken. Du bist ein großes Arschloch, wird also zum Beispiel an alle Kontakte in Markus’ Adressbuch verschickt, nachdem ich Orthografie und Grammatik Korrektur gelesen habe. Ich will mit dir schlafen, ergeht als Einladung an Jessicas Bekannte, und ich muss gestehen, Rotkäppchens Idee ist gar nicht mal so schlecht, unsere lieben Gefangenen werden wohl auch in den nächsten Tagen viel Freude mit Freunden und Verwandten haben …
    Wie schon erwähnt, sind wir ja keine Unmenschen, wir wollen unsere Freunde nicht zu lange warten lassen. Drei Stunden im finsteren Verlies sind genug, und so schleichen wir uns am Nachmittag erneut in den Keller des Schulhauses. Markus

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