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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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ist der Erste, dem wir Mobiltelefon und Freiheit wiederschenken. Es ist zugegebenermaßen eine etwas begrenzte Freiheit – doch unser aller Freiheit stößt nun einmal auf Grenzen –, er ist nämlich immer noch an den Händen gefesselt, als wir ihn aus der Schule werfen, um den Hals trägt er ein großes Schild mit der Aufschrift Kann ich Ihnen helfen? Wir warten ein paar Minuten, als Nächste ist Jessica an der Reihe, auf ihrem Schild heißt es Die Gedanken sind frei. Ich muss aufs Klo, geben wir Kevin mit auf den Weg, Gabi fragt Wer will mich, bei Thomas, dem fünften im Bunde, heißt es Ich liebe euch alle.
    Ihr wart großartig, lobe ich meine Genossinnen und Genossen bei einer Nachbesprechung im Fußballzimmer. Was haben wir heute gelernt, frage ich dann in die Runde und warte die Antwort nicht ab. Wir haben gelernt, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss. Dass man sich wehren kann. Dass man solchen Leuten Grenzen setzen muss. Und dass man Leuten, bei denen das rein verbale Grenzen-Setzen nichts nützt, eben auf die Finger klopfen muss. Außerdem haben wir erste Erfahrungen im revolutionären Kampf gesammelt, und diese Erfahrungen, das ist die wichtigste Lektion, werden uns in Zukunft nützen.
    Ich hocke vor dem Küchenfenster, ich höre die erstickten Schreie meiner Mutter und meiner Schwestern, wenn ich mich vorsichtig aufrichte und durch das staubige Fliegengitter spähe, kann ich die Soldaten sehen, die ihnen Gewalt antun. Die ganze Küche ist verdreckt von ihren Fußabdrücken, ich denke daran, wie meine Mutter mit uns Kindern schimpfte, wenn wir das Haus mit schmutzigen Schuhen betraten. Jetzt schimpft sie nicht, jetzt schreit sie und versucht, sich der Soldaten zu erwehren, doch vergebens. Ich hocke vor dem Fenster, ich möchte den Frauen zu Hilfe kommen, doch ich kann mich nicht bewegen.
    Plötzlich bin auch ich im Haus, es sind viele Leute da, ich erkenne Nino und Nicoleta, meinen Onkel, meine Tante, andere Verwandte und Nachbarn, aber auch die Soldaten. Meine Mutter bewirtet sie alle, sie lächelt den Soldaten freundlich zu, die lächeln zurück. Ich verstehe nicht, was hier vorgeht. Ich werfe einen Blick in die Küche, da sehe ich die Fußspuren auf dem Boden. Ich will meine Mutter zur Rede stellen, doch aus meinem Mund kommt kein Wort heraus. Ihr habt Schande über die Familie gebracht, sagt mein Onkel plötzlich laut. Schande über euch, stimmen die anderen mit ein, ihr könnt hier nicht bleiben. Aber das ist unser Haus, antwortet die Mutter weinend. Schick’ mich nicht fort, wendet sie sich an mich. Ich sehe die Verzweiflung in ihren Augen, meine ältere Schwester klammert sich an mich. Du kannst uns nicht fortschicken, bettelt sie. Ich deute auf die Fußabdrücke in der Küche. Da ist der Beweis, sage ich. Wofür, fragt meine Mutter traurig, doch ich schüttle nur den Kopf. Dann ist ein Schuss zu hören, meine jüngere Schwester schreit auf – – – und ich wache auf.
    Djaafars Nachttischlampe ist an. Alles in Ordnung, schreibt er auf seinen Notizblock und hält ihn mir hin. Jaja, natürlich, ich hab’ mich noch nie besser gefühlt, wieso? Du hast geschrien, schreibt er. Ich? Neinnein, du verwechselst mich mit Yaya, Yaya schreit im Traum, nicht ich. Du hast in einer fremden Sprache gesprochen und um dich geschlagen, schreibt er. Ach, ich habe nur etwas ausprobiert für unsere nächste Aktion. Dann schlage ich die Decke zurück, stehe auf und gehe in die Küche.
    Amal sitzt mit einem Buch und einer Tasse Tee an einem der beiden Tische und blickt auf, als ich den Raum betrete. Du hast geschreit, sagt sie. Ich schüttle verärgert den Kopf und beschließe, nicht weiter auf den lächerlichen Vorwurf einzugehen. Amal vertieft sich wieder in ihr Buch. Ich bereite Tee zu, dann setze ich mich zu ihr. Und, was bringt dich hierher? Ich wollte lesen und etwas trinken, antwortet sie. Und rauchen, sage ich und deute auf den kleinen, als Aschenbecher zweckentfremdeten Teller, den sie auf dem Stuhl neben sich abgestellt hat. Sie zuckt mit den Schultern und sagt weiter nichts.
    Eine Weile sitzen wir einander schweigend gegenüber. Ich schlürfe meinen Tee und wärme mir die Hände an der Tasse, Amal liest. Es ist das erste Mal, dass ich sie mit einem Buch in der Hand sehe, ich kann den Titel nicht entziffern, aber das Umschlagbild, das kurz aufblitzt, lässt auf die Kategorie Liebesschnulze schließen. Als hätte Amal meine Gedanken gelesen, lässt sie plötzlich das Buch auf den Tisch sinken und

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