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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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möchte wegrücken, traut sich aber nicht, sich zu bewegen. Deine Mutter ist vor ein paar Tagen gestorben, sagt die Tante. Sie erzählt von der Krankheit, an der schon so viele im Land gestorben sind, von den vielen Waisenkindern, die zurückbleiben. Aber du hast großes Glück, meine liebe Neneh, denn du hast die Möglichkeit, nach Europa zu gehen. Neneh weint tagelang, sie will nicht nach Europa, sondern zurück in ihr Dorf, zurück zu ihren Geschwistern. Die bleiben nicht im Dorf, die kommen in verschiedene Heime, sagt die Tante, die sind nicht so glücklich wie du. Neneh weint weiter, und sie sieht weiter fern, um sich abzulenken. Die Fernsehbilder aus Europa erscheinen ihr plötzlich in einem ganz anderen Licht, jetzt, da sie Teil dieser Fantasiewelt werden soll. Vielleicht hat die Tante ja recht, denkt sie irgendwann, vielleicht hat sie wirklich großes Glück. Und eines Tages ist es so weit, die Tante hat Kleider für Neneh eingekauft und Schuhe und einen Koffer, hat ihr einen Pass in die Hand gedrückt. Du heißt ab jetzt Amal, schärft sie ihr ein, hörst du? Und du kommst aus Gambia. Wenn dich jemand fragt, ist es ganz wichtig, dass du deinen neuen und nicht den alten Namen verwendest, sonst bekommst du ganz große Probleme mit der Polizei in Europa. Und Neneh nickt, und dann wird sie zum Flughafen gebracht, sie weint beim Abschied von der Tante, obwohl sie sie nicht mag, und als sie nach mehreren Stunden aus dem Flugzeug steigt, hat sie einen neuen Namen und beginnt ein neues Leben.
    Die Menschen auf dem Flughafen sind alle weiß, nur einer ist schwarz. Amal Mbowe, steht auf dem Schild, das er in der Hand hält, und Amal geht auf ihn zu. Er begrüßt sie ohne Lächeln, nimmt ihr den Koffer ab und geht mit ihr zu einem großen schwarzen Wagen. Während der ganzen Fahrt spricht er kein Wort, Amal blickt aus dem Fenster und hat das Gefühl, in ihrer Heimat vor dem Fernseher zu sitzen, so unwirklich kommen ihr die Bilder vor. Der Mann fährt schließlich mit dem Auto direkt in ein Haus hinein, sie steigen eine Treppe nach oben, und dort wird Amal von einer Frau begrüßt. Das ist jetzt dein neues Zuhause, sagt sie lächelnd, auch sie ist schwarz und küsst sie auf beide Wangen. Sie steigen die Treppe wieder hinunter, die Frau geht voran, sie betreten einen kleinen Raum mit einem Bett, einem Tisch und einem Sessel. Hier wirst du wohnen, sagt die Frau, gefällt es dir? Amal blickt nach oben zu dem kleinen Fenster knapp unterhalb der Decke, draußen hört man Vogelgezwitscher. Sie nickt, sie hat immer noch das Gefühl, vor dem Fernseher zu sitzen.
    Amals Aufgabe ist es, auf die beiden Kinder, fünf und sieben Jahre alt, aufzupassen. Zu Hause hatte sie drei jüngere Geschwister, um die sie sich kümmern musste, sie wusste, was gut und was schlecht für sie war, wusste, was sie ihnen erlauben konnte und was nicht. Zunächst funktioniert das auch hier, und sie wird von den Jüngeren respektiert. Bald jedoch wird den Kindern klar, dass Amal trotz einiger Jahre Schulbildung vieles nicht weiß und nicht kann und nicht kennt, und sie beginnen, dieses Nichtwissen auszunutzen. Lasst sie in Ruhe, sagt die Mutter, als die beiden Amal wieder einmal auslachen, woher soll sie’s wissen, sie ist ja nur ein dummes Bauernmädchen.
    Amal muss auch im Haushalt mitarbeiten. Zwar gibt es ein Dienstmädchen, doch sie ist faul, sie telefoniert die meiste Zeit, manchmal kommt auch ihr Freund ins Haus. Sie zeigt Amal, wie man Wäsche wäscht und bügelt und putzt, doch Amal macht Fehler. Sie verbrennt sich beim Bügeln nicht nur die Hand, sondern auch eine Seidenbluse, lässt beim Abtrocknen eine kostbare Teetasse fallen, färbt beim Waschen die weißen Hemden des Hausherrn rosa. Du dummes Huhn, schimpft die Hausherrin und verpasst Amal jedes Mal Ohrfeigen, das werd’ ich dir vom Gehalt abziehen! Dummes Huhn, so nennen die beiden Kinder Amal von nun an, und die Mutter kommt ihr nicht mehr zu Hilfe.
    Am Sonntag hast du frei, sagte die Hausherrin am Anfang, doch meistens gibt es auch sonntags genug zu tun. Als Amal nach fünf oder sechs Wochen tatsächlich einmal nichts zu tun hat, will sie hinaus, sie möchte sich bewegen, die fremde Stadt kennenlernen. Das geht nicht, das ist viel zu gefährlich, verbietet ihr die Hausherrin, du würdest Probleme mit der Polizei bekommen. Amal fügt sich in ihr Schicksal und bleibt im Haus. So oft wie möglich geht sie mit den Kindern in den Garten, sie genießt das viele Grün, denn aus ihrer Heimat

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