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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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sitzt zusammengesunken neben Zakia im Betreuerbüro, ein schwarzes, noch namenloses Wesen, sie scheint tatsächlich geweint zu haben. Tag der Tränen, Tag der Trauer; es muss wohl am Mond liegen, denn Tränen sind das Wasser des Mondes, sagt man da, wo ich herkomme. Zakia, die Trostreiche, sie hat ihren Arm um die Schulter der Armen gelegt, die Unterhaltung läuft in gebrochenem Englisch ab. Später kommt der Onkel dazu und schließt mit einem kurzen Seitenblick auf mich, der ich auf dem Gang auf- und abspaziere, die Tür hinter sich. Keine Angst, ich bin ja gar nicht wirklich da, rufe ich hinterher, ich bin ja nur Scheinasylant! Doch so einfach, mein lieber Oheim, lasse ich mich nicht austricksen! Ich steuere zielstrebig auf mein Zimmer zu, öffne das Fenster und klettere auf das Baugerüst hinaus, das das Gebäude sowohl hof- als auch straßenseitig umgibt. Kein Bauarbeiter ist zu sehen, lautlos wie ein Löwe auf der Jagd pirsche ich mich an mein Ziel heran, ich brauche nur ein paar Fenster zu passieren, bevor ich zum Betreuerbüro gelange. Beide Fenster des Büros sind gekippt, gut so, ich mache es mir auf dem Gerüst bequem und kann auf diese Weise so gut wie jedes Wort verstehen, das drinnen gesprochen wird.
    Es gibt allerdings nicht viel zu verstehen: Zu gebrochen ist nämlich das Englisch der Neuen, und auch Zakias Englisch ist verbesserungswürdig, das des Onkels durch einen unüberhörbaren Ruhrpotteinschlag entstellt. Sie heißt Omatu Owawah, stammt aus Nigeria und ist fünfzehn Jahre alt, so viel ist klar. Sie gehört anscheinend dem Volk der Ijaw an, kommt aus dem Deltagebiet des Niger, es fällt mehrmals das Wort Öl, dann spricht Omatu von Kämpfen, doch wer gegen wen kämpft, ist ihren Worten nicht zu entnehmen. So wird das nichts, muss ich erkennen und fasse spontan den Entschluss, mich in die Situation einzubringen. Drei Augenpaare blicken mich entgeistert an, als ich an die Fensterscheibe klopfe. Hallihallo, grüße ich, nachdem Zakia das Fenster geöffnet hat, ich bin gerade vorbeigekommen und dachte, vielleicht könnt ihr einen Dolmetscher gebrauchen. Bist du verrückt, zetert Zakia. Komm sofort herein, ordert der Onkel. Aber gerne, antworte ich und lasse mich vom Fensterbrett zu Boden gleiten. Was fällt dir eigentlich ein, uns zu belauschen, schimpft der Onkel, Es ist verboten, auf den Gerüst zu klettern, meint Zakia. Das steht aber nirgendwo geschrieben, gebe ich mit Unschuldsmiene zurück, und dem Onkel antworte ich, dass es ja nur zu Omatus Bestem diene. Sie spricht Ijaw, erkläre ich, ich kann dolmetschen. Zakia und der Onkel zögern kurz, tauschen Blicke aus, doch dann schüttelt der Onkel den grau melierten Kopf. Tony kann mit ihr sprechen, wenn er das nächste Mal Dienst hat, sagt er. Bist du sicher, dass er das kann? Nur weil er ebenfalls aus dem Nigerdelta kommt, heißt das noch lange nicht, dass er dieselbe Sprache spricht. Das kannst du ruhig uns überlassen, Ali, wir sind gewohnt, mit solchen Situationen umzugehen. Bitte, bitte, ich möchte mich niemandem aufdrängen, sage ich und wende mich zur Tür. Das hast du aber getan, meint der Onkel mit säuerlichem Lächeln.
    Beim Hinausgehen wende ich mich in Ijaw an Omatu, die die ganze Szene schweigend verfolgt hat. Herzlich willkommen im Irrenhaus, begrüße ich sie, wahrscheinlich gewöhnt man sich irgendwann an das Leben hier – aber es dauert, mein schönes Kind, es dauert. Und sie staunet gar sehr und blicket sprachlos hinter mir her.
    Ein paar Tage später stellt sich heraus, was ich ohnehin schon wusste: Tony spricht natürlich nicht Omatus Sprache. Zwar kommen beide aus Nigeria, Omatu entstammt jedoch dem Volk der Ijaw, Tony jenem der Ogoni. Offensichtlich übersteigt es die Vorstellungskraft europäischer Nationalstaatenhirne, dass in einem Land mehr als eine oder zwei Sprachen gesprochen werden könnten … Ich werde Zeuge des ersten Gesprächs zwischen den beiden, wie und auf welche Art oder Unart, das möchte ich lieber nicht verraten, sonst erfahren es vielleicht auch der Onkel oder die Betreuer. Zu Beginn passiert etwas Eigenartiges: Als Tony ins Büro tritt, in dem Omatu, Zakia, der Onkel und meine Augen und Ohren bereits warten, zuckt die Neue plötzlich vor Schreck zusammen, schlägt die Hände vors Gesicht und flüchtet sich in Zakias Arme. Tony hält mitten im Schritt inne, zögernd bleibt er in der Nähe der Tür stehen, getroffen vom Pfeil der Ablehnung. Zakia und der Onkel sprechen beruhigend auf Omatu ein, sie

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