Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
let’s talk. Faruq möchte natürlich gleich das Ruder an sich reißen, ICH bin hier der Diskussionsleiter, unterbreche ich seinen Redeschwall, Djibrail will sich durch Schweigen aus der Diskussion fortstehlen, Das gilt nicht, gebe ich ihm zu verstehen und fordere ihn zur Teilnahme auf, Dr. Idaulambo verfällt schon nach kurzer Zeit in Trance, aus der ihn Dr. Bathory und ich nur mit vereinten Kräften herausholen können. Nach diesem schleppenden Beginn diskutieren wir also, wir sprechen einen Tag und eine Nacht lang und noch eine Nacht und noch einen Tag, wir essen gemeinsam Mohr im Hemd, wir streiten aber auch viel, manchmal wird es so laut, dass andere Ärzte oder Schwestern besorgt anklopfen und fragen, ob auch alles in Ordnung sei. Keine Angst, beruhige ich, wir haben alles unter Kontrolle, und schließlich gelingt es mir durch geschickte Mediation, der Aufgabenstellung entsprechend für eine funktionierende interne Kommunikation zu sorgen.
Ich hätte rasche Fortschritte gemacht, lobt Frau Dr. Bathory in der nächsten Sitzung, heute sei es so weit, wir könnten mit der zweiten Phase der Therapie, der Traumabearbeitung, beginnen. Wir nehmen also gemeinsam die zuvor weggesperrten Traumata und überwältigenden Gefühle aus dem Tresor, vorsichtig, ganz vorsichtig, ja nicht zu hart anfassen oder gar fallen lassen. Es geht nun darum, diese Traumata, diese Erinnerungen aus der Distanz zu betrachten, erklärt Dr. Bathory, als wär’ das Ganze ein Theaterstück, verstehst du? Ich verstehe, sage ich und mache es mir bequem im roten Geplüsch, lehne mich zurück und harre der ersten Produktion des TTT , des Totalen Trauma Theaters. Das Stück beginnt recht verheißungsvoll, doch allzu bald muss ich feststellen, dass es sich beim Totalen Trauma Theater um eine drittklassige Provinzlaienspieltruppe handelt. Also, so geht das nicht, unterbreche ich ungeduldig, das ist ja nicht auszuhalten! Dr. Bathory reagiert konsterniert, fragt dann aber nach, was ich anders machen würde. Na … alles! Gut, sagt sie gedehnt, dann stell’ dir vor, du bist jetzt der Regisseur des Stückes. Das lasse ich mir nicht zwei Mal sagen und beginne meine Regiearbeit gleich mit einer größeren Umbesetzung. Die bisherigen Hauptdarsteller werden durch Djibrail, Faruq, Dr. Idaulambo und Schwester Tanja ersetzt. Auch sie sind keine Profis, auch sie brauchen Ermunterung und Anleitung, doch sie haben natürlich ungleich mehr Talent als ihre Vorgänger, und ich schicke sie von links nach rechts und von rechts nach links, ich halte sie fest an unsichtbaren Fäden, und wie Marionetten tanzen sie, sie tanzen nach meiner Pfeife.
In der dritten und letzten Phase geht es darum, der Trauer Gestalt zu geben, erklärt Frau Dr. Bathory schließlich, es geht darum, Schuldgefühle loszulassen, Versöhnung zu erreichen und letztlich ein neues Leben zu beginnen. Neues Leben, Schluss mit Schuld, Trauergestalt, jawoll, wird jemacht, Frau Doktor! Zurück auf meinem Zimmer bastle ich mit Holzresten aus dem Sperrmüll, Kleidungsstücken aus der Altkleidersammlung und anderen Utensilien eine Figur. Was machst du da, fragt Faruq neugierig. Erzsébet und ich sind bei Phase drei angelangt, weißt du, ich gebe der Trauer eine Gestalt. Djibrail bricht tags darauf angesichts der fertigen, vogelscheuchenähnlichen Figur in hemmungsloses Schluchzen aus, es bleibt mir nichts anderes übrig, als sie aus dem Zimmer zu entfernen. Zuerst wandert sie auf den Gang, doch auch dort sorgt sie für Tränen, nicht nur bei Djibrail, sondern auch bei allen anderen, die an ihr vorbeigehen, selbst hartgesottene Naturen wie Schwester Maria oder Dr. Idaulambo können sich ein paar stille Zähren nicht verbeißen. Schließlich wird der Ritter von der traurigen Gestalt in den Park verbannt, ganz ohne Windmühlen muss er dort ausharren, nur die Krähen erbarmen sich seiner und sprechen, so sie ihm nicht gerade aufs Haupt kacken, krächzend ihr Beileid aus.
Ich bekomme weitere Hausaufgaben: Briefe an imaginäre Adressaten schreiben, Gegenstände als Symbol für endgültig Vergangenes verbrennen oder vergraben, Geschichten erfinden und erzählen und ähnliche Übungen für Anfänger. Nichts leichter als das, Frau Doktor, nichts leichter als das, und als braver Vorzugsschüler erledige ich diese Aufgaben in Sturmeseile. Die Therapie geht damit zu Ende, ich bin genesen, ich darf nach drei Wochen unter Kranken zurück in die heile Welt, um ein neues Leben zu beginnen.
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Das Leo hat mich wieder. Ich
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