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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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bin geheilt, doch die heile Welt, so muss ich bald feststellen, existiert nicht mehr. In den drei Wochen, die ich fort war, scheint das Unheil in konzentrierter Form über das Haus hereingebrochen zu sein. Wo sind denn die anderen, frage ich beim Mittagessen. Wen meinst du, fragt Nicoleta zurück. Na … alle? Ich deute auf die leeren Plätze an beiden Tischen. Tomo, Yaya, Djamila, alle anderen? Die sind schon lange weg, sagt Nino. Wie … weg? Na, in Schubhaft oder schon abgeschoben. In nur drei Wochen? Wieso drei Wochen, will Rotkäppchen wissen, wartet jedoch meine Antwort nicht ab, nur Djamila hat es geschafft, erzählt sie, sie ist bei ihren Eltern in Schweden. Sie hat Glück gehabt, sagt Nicoleta und scheint sich ehrlich für Djamila zu freuen. Dunja sitzt schweigend daneben, als ginge sie das alles nichts an, und kaut langsam an ihrem kaugummigewürzten Essen.
    Wo sind alle hin, frage ich Haluk und Zakia nach dem Essen. In Schubhaft oder abgeschoben, bestätigt Haluk, was ich schon von Nino und Nicoleta zu hören bekam. Zakia beginnt leise zu schluchzen. Aber wie kann das sein, in nur drei Wochen? Wieso drei Wochen, fragt auch er, und schön langsam beginne ich an der geistigen Gesundheit der sogenannten heilen Welt zu zweifeln. Weil ich drei Wochen im Krankenhaus war, erkläre ich geduldig, wie man eben mit Kranken zu sprechen pflegt. Haluk glotzt mich mit großen Augen an. Aber, Ali, du warst doch viel länger … Sie werden alle umbringen, unterbricht Zakia ihren Kollegen, alle! Sie scheint unserem Gespräch nicht gefolgt zu sein, sie sitzt mit hängenden Schultern vor dem Computer, ihr Blick verliert sich in weiter Ferne, sie werden alle umbringen, wiederholt sie düster, in Afghanistan, in Nigeria, im Irak, in Uganda. Du übertreibst, versucht Haluk sie zu trösten, es wird ihnen schon nichts passieren. Zakia zieht ihren Fernblick aus Afghanistan ab und richtet ihn auf Haluk. Wieso weißt du, braust sie ihn an. Ich weiß es genauso wenig wie du, versucht er zu beschwichtigen, wir können nur hoffen, dass alle die Abschiebung gut überstehen.
    Ich lasse mich per Fahrstuhl zu den Erwachsenen herab, ich möchte wissen, ob auch unten das Abschubkommando zugeschlagen hat. Zuerst mache ich mich auf die Suche nach Betreuerinnen oder Betreuern, doch weder im Büro noch im Besprechungszimmer werde ich fündig, auch nicht in der Küche, und nicht einmal die Schöne Helena ist in ihrem Büro. Dann gehe ich von Wohnung zu Wohnung, klopfe an und warte vergeblich auf eine Antwort, nur hinter manchen fragt es vorsichtig Wer klopfet an, und ich antworte beruhigend Es ist der Schwarze Mann. Es ist ungewöhnlich still, statt der Küchengerüche, die normalerweise um diese Zeit das Haus durchziehen, riecht es nur nach Angst und nach Leere. Was machst du da, höre ich plötzlich die raue Stimme der Schönen Helena hinter mir. Während ich mich betont langsam umdrehe, suche ich nach einer Ausrede, beschließe dann aber, ihr die Wahrheit zu sagen. Ich möchte wissen, wer überhaupt noch im Haus ist. Was geht dich das an, bellt sie, doch bald lenkt sie ein, es ist ja sowieso schon alles egal, seufzt sie. Ich begleite sie in ihr Büro, sie zeigt mir die Liste der derzeit im Haus Anwesenden. Nächste Woche werden’s noch weniger sein, sagt sie, übernächste Woche noch weniger, und so wird es weitergehen, bis gar niemand mehr da ist. Ich zähle rasch die Namen, es sind neunundzwanzig, vor einem Jahr waren es noch hundertdreißig, bei uns im Leo sind es sechs, sechs von ursprünglich vierzehn. Manu ist fort, entnehme ich der Liste, Nuriddin und Namuna sind fort, vielleicht sitzen sie schon im Flugzeug nach Ulan Bator, Salvas Frau Ana und ihre Kinder sind fort, Familie Dolas hat man zerrissen, Vater Gülertan und drei Kinder wurden abgeholt, Mutter Halima und die zwei Jüngsten sind laut Liste zu dieser Stunde noch im Haus. Wer von ihnen ist in Schubhaft, wer wurde bereits abgeschoben, will ich wissen, doch Helenas Angaben sind nicht sehr genau. Wir haben den Überblick verloren, gesteht sie, unsere Rechtsanwälte bemühen sich, so viele Leute wie möglich wieder freizubekommen, aber die sind völlig überfordert von so vielen Fällen.
    Wo ist eigentlich Mira, frage ich den Onkel ein paar Tage nach meiner Rückkehr ins Leo, wann hat sie den nächsten Dienst? Sie ist im Krankenhaus, das weißt du doch, antwortet er. Es ist mir zwar schleierhaft, woher ich das wissen sollte, habe aber keine Lust, mir vor dem Mann irgendeine Blöße

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