Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
verbessere ich Mira bei einem ihrer ganz seltenen Fehler, muss aber im selben Augenblick erkennen, dass ich mich dadurch selbst aus dem Konzept gebracht habe. Und zweitens, setze ich an … Und zweitens, fragt sie hundsgemein lächelnd und mein Zögern ausnützend. Ich schimpfe noch eine Weile vor mich hin, muss mich aber bald geschlagen geben. Wer wird den Neuen betreuen, frage ich. Ich, gibt Mira zurück. Auch das noch, maule ich. Mira steht auf, sie hat mit einem Mal ihr mütterlichstes Lächeln aufgesetzt. Komm, sagt sie und streckt die Hand nach mir aus. Ich ziere mich zuerst, doch dann lasse ich mich in ihre Umarmung gleiten. Meine Träume, endlich werden sie wahr, Mira, meine Liebste, ihre Haare duften nach frischem Heu, ihre Haut nach vom Morgentau benetzten Pfirsichen, Ich werde mich um dich und deine Probleme genauso kümmern wie bisher, höre ich weit entfernt ihre Engelsstimme, ich schwebe über den Wolken, auch wenn ich nicht weiß, von welchen Problemen sie spricht, ich spüre durch die Kleidung hindurch die sanfte Kurve ihrer Brüste, ich stelle mir vor, ich wäre kleiner als sie und mein Kopf würde sich an ihren Busen schmiegen. Sanft schiebt sie mich weg, nach dreißig Sekunden, nach einer Stunde, oder waren es drei Tage? Jetzt warte doch mal ab, wie du und Djaafar und Yaya mit Murad auskommen, sagt sie, als ich mich schon auf halbem Weg zur Tür befinde. Ich schwebe von dannen – und werde im selben Augenblick beinahe von unserem Deutschlehrer Lukas Neuner über den Haufen gerannt. Entschuldigung, sagt er, ohne mich wirklich wahrzunehmen. Sein Blick geht durch mich hindurch, es ist der gleiche Blick, den er im Deutschkurs auf Nino zu werfen pflegt, nur ist der Haken diesmal nicht für Backfische, sondern für größere Kaliber ausgelegt. Hallo, Mira, grüßt er. Ich halte inne, langsam und noch ein wenig benommen drehe ich mich um. Ich höre, wie Mira den Gruß erwidert, ich sehe, wie sie sich durchs Haar fährt und lächelt, nicht maliziös und nicht mütterlich ist dieses Lächeln, sondern erwartungsvoll und empfängnisbereit. Sie sind so klug, Herr Lehrer, sagt dieses errötende, siebzehnjährige, zwischen den Beinen feuchte Lächeln, Machen Sie mit mir, was Sie wollen, Herr Lehrer, haucht es verzückt und der Ohnmacht nahe. Die Wolke, auf der ich dem Raum entschwebte, löst sich mit einem Mal in nichts auf. Mit lautem Krachen lande ich auf dem harten Boden der Tatsachen, doch weder Mira noch Lukas hören mich, und ein Wort, das Wort Verrat, formt sich in meinem Kopf, füllt ihn aus und droht ihn zu sprengen.
Doch ich habe keine Zeit zu trauern, und Hass und Wut sollen mir nicht den Blick auf Gesichter und Geschichten meiner Mitbewohner verstellen. Nun denn, Murad also, Murad Magomazov: angeblich sechzehn, angeblich aus Tschetschenien, angeblich verfolgt, angeblich durch Folter verletzt. Ganz ohne Zweifel verletzt ist er am Auge: Er hat als Souvenir aus dem Flüchtlingslager Traiskirchen ein blühendes Veilchen mitgebracht. Wie ist das passiert, frage ich ihn beim Mittagessen auf Tschetschenisch. Er sieht mich an, wie man ein wildes Tier im Zoo ansieht, ein Tier, das einem trotz der schützenden Glaswand nicht ganz geheuer ist. Schon recht so, denke ich mir, das bisschen Glas würde dir auch gar nichts nützen, wenn du mich reizen solltest. Eine Schlägerei, sagt er, die Neger haben eine Schlägerei angefangen. Chrrrrrrrrrrr, fauche ich ihn mit aufgestellten Haaren und ausgefahrenen Krallen an. Er zuckt zurück, ich ziehe meine Pranke wieder ein. Diese bösen Neger, sage ich ganz sanft, und er nickt zur Bestätigung. Ja, die haben sich beim Essen immer vorgedrängt. Nein, so was, schnurre ich. Scheint doch nicht so gefährlich zu sein, dieses schwarze Tier, ist in Murads Augen zu lesen, und im selben Augenblick fauche ich ihn erneut an.
Meine Strategie scheint zu wirken. Hier bleibe ich nicht, sagt Murad wenig später, als ihm bewusst wird, dass er mit mir und einem weiteren schwarzen Menschentier den Stall teilen soll. Ich möchte ein anderes Zimmer, sagt er kurz darauf auf Russisch zu Mira. Wir haben leider kein anderes Bett frei, antwortet die Verräterin, wo liegt das Problem? Mir, der ich hinter Murad stehe, wirft sie einen misstrauischen Blick zu, Was hast du ihm getan, scheint sie zu fragen, als hätte ich ihm das blaue Auge geschlagen! Murad zögert, dreht sich halb zu mir um, er murmelt etwas, das weder Mira noch ich verstehen. Wie bitte, fragt sie nach. Die Neger, sagt er dann
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