Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
doch dann ist die Illusion nicht mehr länger aufrechtzuerhalten, und ich wache auf. Ich höre das beruhigende Summen Djaafars, dessen Gutmütigkeit auch nächtens keine Grenzen kennt, während ich Yaya – Herr George Yaya Nagbe gehört eindeutig zur Kategorie drei der komplizierten Fälle – leise verfluche.
Wieder einmal gelingt mir im Gegensatz zu Djaafar das Einschlafen nicht, und während er sich bald mit seinem Schwein im Bett suhlt, folge ich Yaya in die Küche. Tee, frage ich, und Yaya nickt, dann sitzen wir einander schweigend gegenüber. Ich komme eigentlich aus Liberia, unterbricht er nach einer Weile die Stille, nicht aus Côte d’Ivoire. Ich bin mit einem Schlag hellwach. Aha, sage ich in gespannter Erwartung näherer Erläuterung – doch es kommt nichts mehr. Wieso hast du dann … Wieso er gelogen habe, möchte ich wissen, doch die Frage klingt zu hart, ich ringe nach einer besseren Formulierung in Yayas Muttersprache. Bei Liberia gibt es kaum Aussicht auf Asyl, kommt er mir zuvor, bei Côte d’Ivoire sind die Chancen etwas besser, hat man mir gesagt. Aber ich habe die letzten paar Jahre in Côte d’Ivoire gelebt. Aber du sprichst … wir sprechen doch Krahn miteinander, entgegne ich erstaunt. Krahn wird auf beiden Seiten der Grenze gesprochen, erklärt er mir. Natürlich, sage ich, du hast recht.
Yaya steht auf, um seine Tasse aufzufüllen. Nachdem er sich gesetzt hat, beginnt er zu erzählen, von einem kleinen Dorf im Osten Liberias, von ein paar Hühnern, ein paar Ziegen, von zwei, drei winzigen Feldern, es sei nicht viel gewesen, aber es habe gereicht, es habe gereicht bis zu dem Tag, an dem der Krieg ins Dorf kam. Yaya fasst mit der Hand nach dem Amulett, seine Finger streichen über den grünen Stein. Der Krieg sei schon eine ganze Weile in Liberia gewesen, aber man habe lange nichts davon gemerkt. Aber eines Tages seien Männer mit Gewehren in den Ort gekommen, und von da an sei das Leben die Hölle gewesen. Zuerst haben sie sich die Hühner geschnappt, sagt er, beim nächsten Mal die Ziegen. Beim dritten Mal haben sie alles geholt, was auf den Feldern war. Und dann haben sie meinen Bruder mitgenommen. Yaya hört zu sprechen auf, seine Faust umschließt das Amulett, sein Blick verliert sich in weiter Ferne. Ich hänge an seinen Lippen, einer Fortsetzung harrend, noch immer ganz erstaunt über seine plötzliche Gesprächigkeit.
Ich fürchte schon, seine Erzählung ist beendet, doch dann spricht er weiter. Irgendwann, nach vielen Monaten, hätten seine Eltern die Hoffnung aufgegeben, dass der Bruder wieder auftauchen würde, auch andere Jugendliche aus dem Dorf seien verschleppt worden. Eines Tages hätten sie alles, was sie noch besaßen, auf einen Wagen geladen und seien nach Osten gezogen, nach zwei oder drei Tagen seien sie in Côte d’Ivoire angekommen, sein Vater habe dort Arbeit auf einer Kakaoplantage bekommen, damals sei das noch einfach gewesen. Und da haben wir dann gelebt, sagt Yaya.
Und wie … wie ging es dann weiter, frage ich vorsichtig. Wieso musstest du weg? Yaya blickt auf, doch sein Blick scheint durch mich hindurchzugehen. Hallo, höre ich im selben Augenblick Tomos Stimme hinter mir, ich kann auch nicht schlafen. Nicht jetzt, denke ich, nicht jetzt, Tomo, da Yaya einmal bereit ist, etwas von sich preiszugeben. Doch ein Blick auf Yayas Gesicht zeigt mir, dass es zu spät ist, es hat plötzlich wieder jenen verschlossenen Ausdruck angenommen, den ich bereits zur Genüge kenne, das Visier ist herunter-, die Zugbrücke hochgeklappt, die Sprechstunde beendet.
Tomo füllt ein Glas mit Leitungswasser und leert es gierig, nachdem er es erneut angefüllt hat, setzt er sich neben Yaya. Auch er hat also das Schlaflos gezogen, doch wen wundert’s, er hat gestern seinen Asylbescheid erster Instanz zugestellt bekommen, natürlich negativ. Daher war spruchgemäß zu entscheiden, steht in solchen Papieren immer, und das klingt schon so, als hätten die armen Entscheidungsträger gar keine andere Wahl gehabt, als einen negativen Bescheid auszustellen! Tomos Angaben – er stammt aus dem mittlerweile serbischen Teil Bosniens, während der Kriegsjahre flüchtete seine Familie zu Verwandten in den nördlichen Teil des Kosovos – seien unglaubwürdig und widersprüchlich, außerdem könne auch nach eingehendem Studium der zuverlässigsten Quellen nicht festgestellt werden, dass ihm bei einer Rückkehr in den Kosovo Gefahr drohe. Aber nein, die Löwen sind überhaupt nicht
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