Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
bricht in Tränen aus, ihr ganzer Körper ist auf Abwehr gegen Tony eingestellt, niemand kann sich diese heftige Reaktion erklären, auch ich bin, ich gebe es zu, ein wenig ratlos. Es fällt das Wort Traumatisierung, natürlich, so viel ist klar, und es dauert eine ganze Weile, bis Omatu sich beruhigt hat und sich aus der Sicherheit von Zakias Arm heraus auf einen Kontakt mit Tony einlässt. Jedenfalls aber verläuft das Gespräch – wenn man die paar Sätze in einer Mischung aus Ogoni, Ijaw, Englisch und Deutsch als Gespräch bezeichnen kann – ergebnislos.
Als ich nachts zur Toilette muss, dringt ein schwacher Lichtschein unter einer der Zimmertüren hervor, es ist das Zimmer, das Omatu mit Djamila und Amal teilt, und am nächsten Morgen beklagt sich Amal, dass die Neue aus Angst vor der Dunkelheit das Licht neben ihrem Bett brennen lässt.
Du sollst zum Onkel, schreibt Djaafar auf seinen Notizblock, als ich tags darauf nach dem Deutschkurs unser Zimmer betrete. Bist du also draufgekommen, dass es ganz ohne mich und meine Sprachkenntnisse doch nicht geht, frage ich ihn gleich beim Eintreten ins Büro. Er tut, als verstünde er mich nicht. Omatu, Tony, mein Lauschangriff vom Baugerüst, helfe ich ihm auf die Sprünge. Ali, so was macht man einfach nicht, schaltet sich Mira ein, die bis dahin schweigend dem Onkel gegenübersaß. Erstens, weil es gefährlich ist, auf dem Gerüst herumzuklettern … und zweitens, setzt der Onkel fort, würdest auch du nicht wollen, dass man deine Gespräche belauscht. Ich habe nichts zu verbergen, kontere ich, es ist jeder herzlich eingeladen, bei diesem oder jedem anderen Gespräch dabei zu sein. Ali, sagt Mira und klingt ein wenig entnervt, ich kann nur wieder einmal sagen, ich weiß, dass es dir nicht gut geht, wir wissen, dass du viel Schlimmes erlebt hast, aber es wäre vielleicht wirklich besser, du würdest einen Termin mit Ines oder mit Dr. Davidovych vereinbaren. Aber ja, sage ich, grundsätzlich plaudere ich gerne mit jedem, obwohl es mir blendend geht. Aber nein, denke ich, jetzt geht das wieder los! Als sie mich dann auch noch fragt, ob ich denn zurzeit wieder schlecht schlafen würde, verlasse ich fluchtartig den Raum.
Schlafen oder nicht schlafen, das ist in diesem Haus die Frage … Na, hast du oder hast du nicht, frage ich Gjergi, dem ich auf der Treppe zwischen der zweiten und dritten Etage über den Weg laufe. Gjergi schüttelt den Kopf, den Greisenkopf mit den tiefen Ringen unter den Augen, den nach unten gezogenen Mundwinkeln, dem schütteren Haarkranz. Obwohl er hinkt und auf seinen Stock angewiesen ist, benutzt er auf seinen langen Wanderungen durch das Haus nie den Lift. Kein Schlaf, antwortet er, schlafen darf ich nicht. Armer Gjergi, bedauere ich ihn, doch er hört mich nicht mehr, er hat sich schon wieder in Bewegung gesetzt, er gönnt sich keine Pause, er findet keine Ruhe. Während ich auf Pitras Zimmer zusteuere, frage ich mich, wie viele Kilometer er wohl schon im Haus zurückgelegt hat, es müssen mittlerweile Dutzende, wenn nicht Hunderte sein.
Er will nicht schlafen, sagt Pitra, als ich ihr von Gjergi erzähle. Sie ist gerade dabei, eine dunkle, eigenartig riechende Flüssigkeit in einem kleinen Topf aufzukochen. Wenn er nicht schlafen will, dann kann man ihm nicht helfen, sagt sie bestimmt. Aber wieso will er nicht schlafen? Sie zuckt mit den Schultern. Vielleicht fürchtet er sich davor, nicht mehr aufzuwachen, oder er will keine Zeit mit dem Schlafen verschwenden. Vielleicht hat er aber einfach Angst vor seinen Träumen. Sie schlägt zwei Eier auf, verquirlt sie in einem Glas und leert sie in den Topf. Ich kann auch nicht schlafen, erzählt Salvas Frau Ana in ihrer Muttersprache. Seit sie Salva mitgenommen haben, liege ich jede Nacht im Bett und frage mich, wie es ihm geht, und dann ist es plötzlich vier Uhr morgens, und ich hab’ noch immer kein Auge zugetan. Er wird schon wieder zurückkommen, versuchen Halima und Anunu sie zu beruhigen. Pitra scheint ganz in ihre Arbeit vertieft und hat kein Wort des Trostes für Ana. Wenn er nicht schlafen will, dann kann man ihm nicht helfen, wiederholt sie noch einmal, bevor ich ihr Zimmer verlasse.
Yaya schläft im Gegensatz zu Gjergi, doch er schläft weiterhin schlecht. Eines Nachts ist es wieder einmal so weit, sein Schrei dringt in meinen Schlaf. Zuerst ist da nur eine kaum hörbare Dissonanz in jenem Glücksakkord, den mir gerade ein Traum beschert, wie eine Wolke, die sich vor die Sonne schiebt,
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