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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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gefährlich, mein Kind, geh’ ruhig hinein in den Käfig. So glaub’ mir doch, ich hab’s mit eigenen Augen gelesen, sie sind wie Katzen, hörst du nicht, wie sie schnurren? Nun geh’ schon, du dummes Kind, oder muss ich dich stoßen? Zurück an den Start, Tomislav Nikolić, die erste Runde ist verloren, das erste Leben verwirkt. Nun heißt es also, Berufung einzulegen, es heißt, sich erneut einer Einvernahme stellen zu müssen, es bedeutet, dass die Ungewissheit fortdauert und das Warten weitergeht. Hast du schon mit Hans gesprochen, frage ich. Jeder unserer Betreuer kümmert sich um zwei oder drei Jugendliche, Hans ist für Tomo, Afrim und Nino zuständig. Tomo schüttelt den Kopf. Nur mit Onkel, Hans kommt morgen. Er nimmt einen großen Schluck Wasser, dann knallt er das leere Glas auf den Tisch. Scheiß-Polizei, ruft er aus, die Albaner kriegt Asyl, aber bist du Serbe, bist du Arschloch! Afrim ist Albaner und hat bis jetzt auch nicht Asyl bekommen, wende ich ein, doch Tomo zuckt nur mit den Schultern. Die sollen gehen in Kosovo, Leute, was schreiben so ein Bescheid! Gute Idee, gebe ich ihm recht und stelle mir bildhaft vor, wie man die fleißigen Aktenschreiberlinge und deren Vorgesetzte aus ihren Büros holt, wie man sie zusammentreibt und auf Lastwagen verlädt und auf den Balkan transportiert: Es konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass die Antragsteller dort der Gefahr unmenschlicher Behandlung ausgesetzt wären, eine Verfolgung aufgrund politischer oder ethnischer Zugehörigkeit durch staatliche Autoritäten kann unter den gegenwärtigen Verhältnissen so gut wie ausgeschlossen werden, es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Doch müsste man nicht auch gleich diejenigen mitschicken, die die zugehörigen Gesetze beschlossen haben, frage ich mich. Und was ist mit jenen, die die Gesetzgeber gewählt haben? Hier verlässt mich meine Vorstellungskraft.
    Tomo verlässt uns bald danach, und auf dem Weg zum Zimmer, den ich wenig später gemeinsam mit Yaya antrete, ist wieder der Lichtschein unter der Zimmertür der Neuen zu sehen.

3
    Omatu hat ihre ersten Tage im Haus hinter sich gebracht und wurde von Zakia, ihrer Betreuerin, in den Leo-Alltag eingeführt. Sie hat ihr Bett und ihren Spind im Zimmer von Amal und Djamila zugewiesen bekommen, hat neue Kleidung und von mir den Spitznamen Oma gekriegt, man hat sie im Haus herumgeführt und ihr mithilfe eines Dolmetschers die Hausordnung und andere Spielregeln erklärt. Ob und wie viel und wie viel Wahres sie Zakia und dem Onkel von ihrer Geschichte erzählt hat, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Allgegenwart ist zwar mein Beruf, doch hindern mich Kleingeister immer wieder an der Ausübung dieses Berufes, sodass die Gegenwart manchmal zur Vergangenheit wird, ehe ich zur Stelle bin. Oma scheint jedenfalls Schlimmes erlitten zu haben, sie zuckt schon beim kleinsten Geräusch zusammen wie ein verschrecktes Reh, selbst ein forscher Blick kann sie manchmal unvermittelt zum Weinen bringen. Nicht forsch, sondern forschend blicke ich ihr von Zeit zu Zeit ins rundliche Antlitz, um darin zu lesen, doch sie scheint in die gleiche Kategorie wie Yaya zu fallen und sich der schnellen Lektüre zu verweigern.
    Mir bleibt aber ohnehin nicht allzu viel Zeit, mich um Omas Geschichte zu kümmern, denn es kommt bald zu einem Ereignis, das mich viel direkter betrifft. Eines Tages nämlich, als ich nach dem Deutschkurs in mein Zimmer zurückkomme, das Hauptthema der heutigen Unterrichtseinheit war die Komparation, Yaya ist größer als Djaafar, Nino ist jünger als Amal, Keiner ist dümmer als Kamal, eines schönen Dienstags also muss ich feststellen, dass das vierte Bett in unserem Zimmer, das einige Wochen unbelegt war, mit frischer Bettwäsche bezogen ist. Ist ein Neuer da, schreibt Djaafar auf seinen Notizblock. Ich mache gleich wieder kehrt und stürme Richtung Büro.
    Was soll das, schleudere ich Mira entgegen, die vor einem der beiden Computer sitzt und so tut, als würde sie arbeiten. Was soll was? Da ist ein Neuer in meinem Zimmer, ohne dass man mich um mein Einverständnis gefragt hat. Sie setzt ein maliziöses Lächeln auf. Also erstens ist das nicht dein Zimmer, und zweitens – hab ich die Hausordnung etwa nicht aufmerksam genug gelesen? Da muss ich doch tatsächlich diesen einen Punkt überschaut haben: Vor jeder Neubelegung der Zimmer ist Herr Ali Idaulambo zu konsultieren. Also erstens heißt es übersehen haben,

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