Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
trotzig, warum muss ich mit zwei Negern im Zimmer sein? Miras Blick verhärtet sich. Bei uns gibt es keine … sie scheint nach dem russischen Wort zu suchen … keine Rassentrennung, sagt sie, wir haben keine Zimmer »Nur für Tschetschenen«, »Nur für Schwarzafrikaner« oder »Nur für Afghanen«. Wir haben Zimmer für Menschen, ganz egal, welche Hautfarbe sie haben und welche Sprache sie sprechen. Amen, füge ich hinzu. Aber …, beginnt Murad, Nein, unterbricht ihn Mira, in dieser Sache gibt’s bei uns kein Aber. Murad lässt den Kopf hängen. Also ich hätte an seiner Stelle auch Angst, springe ich in die Bresche, kann nicht irgendjemand tauschen, sodass Murad in ein anderes Zimmer kommt? Mira ignoriert meinen Einwurf. Komm, sagt sie lächelnd zu Murad und schüttelt ihn leicht am Arm, Ali und Yaya werden dich schon nicht fressen. Da wäre ich mir nicht so sicher, murmle ich, doch ich muss wieder einmal an den Spruch des Klügeren denken und gebe nach, gebe für diesmal auf und trete auf den Gang hinaus. Du bist eine Frau, höre ich Murad hinter mir plötzlich aufstampfen, du kannst mir gar nichts sagen. Aha, denke ich, kleine Strategieänderung. Miras Antwort ist nicht mehr zu hören, doch ich bin überzeugt, dass sie dem Neuen nichts schuldig bleibt, diesbezüglich kann man sich auf sie hundertprozentig verlassen.
Murad, so heißt es, ist aus Tschetschenien geflüchtet, weil sein Vater und sein Bruder entführt wurden und seine Mutter Angst hatte, er würde der Nächste sein. Ich glaube ihm nicht, es sind natürlich die typischen Argumente von Scheinasylanten. Auch sein Alter nehme ich ihm nicht ab: Wenn man genau hinsieht, kann man ganz deutlich den langen, wallenden Bart der Taliban erkennen. Ich weiß, dass er Böses im Schilde führt, ich fühle und rieche und spüre es, er ist ein Terrorist, der auf den Tag der Abrechnung mit der westlichen Zivilisation wartet, er tarnt sich als UMF , als Unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling, doch in Wahrheit ist er ein Urgefährlicher Muslimischer Fundamentalist. Doch Mira und der Onkel, denen ich meine Beobachtungen mitteile, schlagen meine Warnungen in den Westwind, der Onkel will mir in seiner Fantasielosigkeit wieder einmal einen Termin beim Psychiater verschreiben, aber sie werden es noch bereuen, so viel ist klar. Murad bedeutet übrigens Der Erwünschte, welch’ Hohn, kann ich da nur sagen, denn wer wünscht sich schon einen Terroristen als Zimmergenossen!
Unser Zimmer wird nun von einem Tag auf den anderen zur Moschee umfunktioniert: Noch vor Sonnenaufgang beginnt es täglich zu rumoren, Murad steht auf, verlässt den Raum, um sich zu waschen, kommt zurück, breitet ein zerschlissenes Stoffstück vor dem Fenster aus und beginnt mit seinem Gebet. Kannst du nicht im Wohnzimmer beten, frage ich ihn beim dritten oder vierten Mal schlaftrunken; die Nacht war kurz, in Djaafars Sägewerk wurde ein ganzer Wald verarbeitet, Mr. und Mrs. Chechnya waren in Höchstform, und nun das. Murad ignoriert mich, ich ziehe mir die Decke über den Kopf und versuche weiterzuschlafen.
Doch mit mir nicht, mein Freund, nicht mit mir! Das geht so nicht, beschwere ich mich im Büro. Hans, der gerade Dienst hat, verspricht mir, mit Murad zu reden. Anscheinend hält er sein Versprechen auch, denn am nächsten Morgen verlässt Murad für sein Gebet das Zimmer. Warum betet ihr nicht mit mir, fragt er wenig später Djaafar und mich, ihr seid auch Moslems. Djaafar kratzt sich am Kopf und weicht mit eleganter Rechtsdrehung Murads bohrendem Blick aus, ich selbst hülle mich in nobles Schweigen.
Doch trotz Terrorgefahr muss das Leben weitergehen, und die Ankunft eines unerwünschten Neulings soll nicht von den Geschichten der bereits Anwesenden ablenken. Terrorismus stellt, ich gebe es zu, ja auch bei Weitem nicht die einzige Bedrohung in dieser so gefährlichen Welt dar. Fragt man unsere Betreuer nach der größten Gefahr für uns Jugendliche, dann nennen sie mit Sicherheit die bösen, bösen Drogen. Seit meiner Ankunft in diesem Haus verging denn auch kein Tag, an dem man uns nicht mit dem Holzhammer eingebläut hätte, nur ja die langen Finger von den bewusstseinserweiternden Substanzen zu lassen, keine Gelegenheit, bei der nicht mit den schlimmsten Höllenqualen für den Fall der Missachtung dieses Verbots gedroht worden wäre. Lukas hat mir erzählt, dass ihr gute Fortschritte macht, sagt der Onkel, der uns am nächsten Tag im Deutschkurs mit seiner Anwesenheit beehrt und damit die
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