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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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deinen Milchmädchen, dass stets sie mit mir rechnen können, schreibe ich an Rotkäppchen, o Venus Georgiensis, füge ich hinzu, lass mich mein frenulum an deinen mammillae reiben, doch wieder bleibt sie mir die Antwort schuldig, das gute Kind ist wohl des Lateinischen nicht mächtig. J’aime tes mamelons, versuche ich es auf Französisch, immer noch ohne Erfolg, aber die Franzosen spinnen ja sowieso, was soll man auch von einem Volk erwarten, bei dem die Brust le sein und die Vagina le vagin heißt! Ils sont fous ces Français!
    Prävention, die, schreibt Lukas Neuner auf die Tafel. Mir ist kalt, sage ich laut, hat jemand einen Ofen für mich?
    Unser Mittagessen wartet schon, als wir nach dem Deutschkurs ins Leo zurückkehren. Es gibt zwei Köchinnen, Khady aus dem Senegal und Chin aus dem chinesischen Sichuan. Wenn Khady kocht, dann ist die Welt in Ordnung. Zwar ist sie keine Götterköchin wie Pitra, doch man übersteht ihre Kochkünste relativ unbeschadet. Wenn Chin Dienst hat, ist hingegen Vorsicht geboten: Angeblich musste sie wegen ihrer miserablen Kochkünste aus China flüchten, und seit sie hier arbeitet, ist die Anzahl der Hunde im Bezirk signifikant zurückgegangen. Heute ist Chin-Tag, diesmal musste ein Dobermann dran glauben, und wenn sie sparsam mit dem Fleisch umgeht, dann kann sie uns damit auf Wochen hinaus in allen nur erdenklichen Varianten erfreuen. Ich habe aber keine Lust auf süßsauren Dobermann oder Dober Man Wan Tan, ich verzichte also auf das Mittagessen und gehe nach Erledigung meiner Hausaufgaben – wir schreiben hundert Mal Ich nehme nie keine Drogen nicht – gleich zu Pitra.
    Pitra Götterköchin, Pitra Geschichtenköchin, Pitras Zimmer als Ort des permanenten Pfingstwunders, durch das jeder jeden versteht. Heute ist Nuriddin zu Besuch, Nuriddin aus der Mongolei. Seit ihm Polizisten in seiner Heimatstadt das rechte Bein zertrümmert haben, um ihn zum Singen zu bringen, hinkt er wie ein schlechter Vergleich durchs Leben. Doch er hat sich sein sonniges Gemüt bewahrt und ist außerdem ein guter Geschichtenerzähler, der nicht redet, sondern mit Worten malt, der Bilder in die Köpfe der Zuhörer zaubert, Bilder in den Farben der Wüste, von Bergen so rot wie die Abendsonne und von pfeilschnellen Reitern in nachtschwarzen Gewändern.
    Dann bin ich dran. Heute, meine Lieben, erzähle ich euch die Geschichte von Tomo, eine jener Geschichten, die sich dem Sehenden sofort und ohne Schwierigkeiten offenbaren. Tomo wuchs … Aber nicht so traurige Geschichte wie letztes Mal, wirft Anunu, die Vorlaute, ein. Du musst … ICH bestimme, was hier erzählt wird, unterbreche ich sie mit Donnerstimme, worauf sie vor Schreck den Kopf einzieht wie eine Suppenschildkröte. Tomo, so beginne ich erneut, wuchs in einem kleinen Ort in den Bergen Bosniens auf. Als er ungefähr vier Jahre alt war, verbot ihm seine Mutter eines Tages, mit seinem besten Freund zu spielen. Tomo weinte, seine Mutter sagte irgendetwas von Kroaten und Serben, das er nicht verstand. Du bist ein Serbe, schärfte sie ihm ein. Bald danach durfte er auch nicht mehr in den Kindergarten gehen. An seinem fünften Geburtstag standen plötzlich Männer mit Gewehren im Haus, seine Mutter schnitt gerade die Geburtstagstorte an und ließ vor lauter Schreck das Messer fallen. Tomo kannte manche von den Männern, auch der Vater seines besten Freundes war dabei, die Männer schrien und drohten mit den Gewehren, und Tomo fürchtete sich und verstand nicht, was los war. Es passierten andere, ähnlich bedrohliche Dinge im Ort, in dem hauptsächlich Kroaten lebten, wie auch Tomo mittlerweile wusste, und eines Tages sagte sein Vater Wir müssen weg. Dinge wurden zusammengepackt und ins Auto geladen, Tomo dachte an den Sommerurlaub, den sie einmal am Meer verbracht hatten, doch diesmal lag überall Schnee. Sie fuhren lange mit dem Auto, es war kalt, denn die Heizung funktionierte nicht, sie mussten einige Male umdrehen und einen anderen Weg suchen. Seine Mutter weinte die meiste Zeit, sein Vater schaute grimmig, und Tomo dachte, er wäre böse auf ihn. Nach zwei Tagen kamen sie in eine Stadt, die er nicht kannte. Ein Bruder seiner Mutter lebte dort, und sie wohnten einige Zeit bei ihm in der Wohnung. Man konnte nicht auf der Straße spielen, es gab keine Felder, über die man laufen konnte, Tomo hatte kein eigenes Zimmer. Irgendwann wohnten sie wieder in einer eigenen Wohnung, eines Tages ging Tomo in die Schule, und er fand bald neue Freunde.
    Manche

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