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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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versiegelt, ich bleibe sitzen und schweige, um nicht Mira auf mich aufmerksam zu machen.
    Guten Tag, die Fahrausweise bitte, tönt es kurz danach durch den Wagen. Zwei Kontrolleure walten ihres Amtes, langsam nähert sich einer der beiden der letzten Sitzreihe, links von mir kann ich die Vorfreude der Manta-Fahrer-Mutter richtig spüren: Jetzt erwischen’s ihn, den frechen Neger, steht in deutlichen Lettern, Times New Roman, 20 Punkt, auf ihrer Stirn geschrieben. Ich krame in meinen Taschen, links, rechts, vorne, hinten. Na komm, denke ich mir, sag schon was, mach irgendeine rassistische Bemerkung, Na, hat der Bimbo keinen Fahrschein, zum Beispiel, oder Für Drogen habt ihr Geld, aber für Fahrscheine nicht, oder nenn’ mich einfach Nigger, das ist auch okay. Aber nein, der Mann wartet geduldig, und als ich endlich meine Monatskarte präsentiere, die mir und allen anderen jugendlichen Flüchtlingen der Manta-Fahrer und die Manta-Fahrer-Mutter von ihren Steuergeldern gekauft haben, bedankt sich Schwarzkäppchen höflich und geht zur nächsten Sitzreihe weiter. Auf nichts ist mehr Verlass in diesen Zeiten …
    Mira steigt schließlich aus, betritt eine U-Bahn-Station, Eurydike auf dem Weg in die Unterwelt. Als ich, Orpheus, ihr folgen möchte, stellt sich mir Zerberus in den Weg, fletscht seine furchterregenden Zähne, doch nein, es ist nur eine Westfälische Dachsbracke, die kurz ihrer Besitzerin entkommen ist. Ich setze meinen Weg in die Tiefe fort, ein wildes Brausen kommt auf, ein Sturm peitscht mir die Haare ins Gesicht, nur kurz blicke ich Charon in die grausamen Augen, als er mit seinem Silbergefährt herannaht, lang genug jedoch, um von Angst beinahe überwältigt zu werden. Ich zaudere, ich zögere, Tsugfeatab, ertönt der wilde Ruf des Fährmannes, und erst im allerletzten Augenblick fasse ich mir ein Herz und springe auf. Pfeilschnell gleiten wir durch die nächtliche Schattenwelt, und ich bereite mich auf die bevorstehende Begegnung mit Pluto vor, doch der lässt sich nirgendwo blicken. Beim Westbahnhof verlässt Mira-Eurydike das schwankende Gefährt, hinan, hinan geht es über Stufen und rollende Treppen, dem Licht des Tages entgegen, ich Ali-Orpheus bleibe dicht auf ihren Fersen, hoffentlich dreht sie sich nicht um, sonst bin ich verloren … Endlich, endlich, die Welt der Lebenden hat uns wieder. Mira geht nur ein paar Schritte die Mariahilfer Straße stadteinwärts, dann betritt sie ein Geschäft. A shoe for you, steht quer über das Schaufenster geschrieben, SALE , schreit es daneben mit mehreren Ausrufungszeichen. A shoe for me, a shoe for you, together we will have but two, reimt es in mir ohne mein Zutun, während ich mich maßlos ärgern muss: Soeben der Unterwelt und der ewigen Verdammnis entronnen, hat Mira-Eurydike Obranović nichts Besseres zu tun, als Schuhe zu kaufen!
    Seufzend setze ich meinen Schuh über die Schwelle, ich entdecke Mira in sicherer Entfernung hinter einem der Verkaufsregale. Guten Tag, sage ich leise zu einer blonden Verkäuferin, ich brauche Schuhe. Sie blickt mich verständnislos an. Herrenschuhe, füge ich hinzu. Leichtes, kaum wahrnehmbares Kopfschütteln ihrerseits. Honey, you got shoes for me, versuche ich es in der Sprache der Engel. I take boot, you take loot, you know? Und das Licht der Erkenntnis ist plötzlich in ihren Augen. Ach so, men’s shoes, murmelt sie undeutlich, ja, ganz hinten. Das Licht verschwindet so schnell, wie es gekommen ist, fast könnte man glauben, ich hätte mit einer Schaufensterpuppe gesprochen.
    Ich drücke mich rasch und unauffällig an dem Regal vorbei, vor dem Mira zugange ist, und postiere mich eine Reihe weiter. Ein paar Schuhkartons vorsichtig zur Seite geschoben, und schon habe ich den besten Beobachtungsposten, der sich denken lässt. Mira probiert gerade ein Paar Sandalen an, ihr kurzer Rock verbirgt nicht viel, sie wähnt sich unbeobachtet, zeigt Bein bis dorthin, wo ein Bein das andere ergibt. Die Fahne hoch, spielt es in meiner Hose, aber nicht für’s Vaterland, nein, es regt sich dort ganz in eigener Sache, Verräterin hin oder her! Fast hätte meine erwachende Männlichkeit den gesamten Schuhkartonstapel zum Einsturz gebracht, ich kann gerade noch das Ärgste verhindern, fange drei Kartons auf, ein Paar Stöckelschuhe, das obenauf stand, widerliche, obszöne Foltergeräte mit bleistiftdünnen Absätzen, fällt mir in den Schoß. Vorsichtig stelle ich sie an ihren Platz zurück, auch die Kartons werden aufgeschichtet, bis

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