Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Familie sie hier suchen würde. Der Vater und zwei Brüder kamen auch tatsächlich bald, sie durchsuchten das Haus und bedrohten Onkel und Tante, Zakia aber fanden sie nicht. Sie würden wiederkommen, so viel war klar. Doch da kamen Zakia die Russen zu Hilfe – sie marschierten nämlich gerade in Afghanistan ein. Bald gab es keine Busse mehr, überhaupt wurde es schwierig, sich durchs Land zu bewegen; der Vater und die Brüder kamen aber trotzdem ein zweites Mal. Wieder hatte Zakia Glück, doch die drei blieben in Ghazni und ließen das Haus nicht aus den Augen. Du kannst hier nicht bleiben, sagte der Onkel, und Zakia wusste selbst, dass sie fortgehen musste.
Ein Sohn der Tante, Zakias Cousin, hatte sich gegen die Mudschaheddin engagiert, nun, da diese die Oberhand gewannen, musste er fliehen. Zakia, vor die Wahl gestellt zwischen einem Leben mit einem Mann, den sie verabscheute, dem sicheren Tod durch die Hand ihres Bruders für den Fall, dass sie diesen Mann verließ, und der Unsicherheit eines Lebens auf der Flucht und im Exil, entschied sich für Letzteres. Nach einer wochenlangen Odyssee, bei der der Cousin irgendwo in der Türkei spurlos verschwand, kam sie Anfang der achtziger Jahre tatsächlich nach Österreich und erhielt nach kurzer Wartezeit Asyl.
Der Antragsteller konnte keine asylrelevanten Vorbringungen machen, liest Zakia nun zum wiederholten Mal in Djaafars Bescheid, und die Wut, die sie dabei empfindet, so lese ich in ihrem Gesicht, will einfach nicht nachlassen. Es ist also nicht genug, dass Djaafars tadschikische Familie in ständiger Bedrohung durch bewaffnete paschtunische Verbände leben musste, es reicht nicht, dass diese Milizen seine Mutter mit Waffengewalt vom Wählen und seine Schwestern vom Schulbesuch abhielten, es ist »nicht asylrelevant«, dass sie seinen Vater widerrechtlich einsperrten und Djaafar und seinen Bruder beinahe zu Tode prügelten. Djaafar hätte das Land ja nicht verlassen müssen, Kabul sei eine Millionenstadt, in der sicherlich eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung gestanden hätte, ei freilich, und dort sollte man euch auch hinschicken, ihr Schreibtischtäter, die ihr über alles Bescheid zu wissen glaubt. Es ist höchst bescheidene Prosa, die ihr da in die Tasten eurer verstaubten Schreibmaschinen klopft, aber Prosa mit einer Wirkung, von der jeder Dichter nur träumen kann: Mit euren Schreibmaschinengewehren befördert ihr Menschen zielsicher in den Tod, ratatatabumm, die Zeile ist um.
Djaafar liegt Zakia besonders am Herzen, da hat der Onkel recht. Er kommt aus der gleichen Provinz wie sie, auch sie ist Tadschikin, manchmal bedenkt sie ihn mit einem zärtlichen Blick, weil er sie an ihren Lieblingsbruder erinnert. Irgendwie betrachtet sie Djaafar als Ersatz für diesen jüngsten Bruder, der durch eine Mine ums Leben kam, und Djaafar hat nichts gegen diese Beschwesterung einzuwenden, die er lächelnd mit sich geschehen lässt. Bei den anderen regt sich aber durchaus Eifersucht deswegen: Manche meiner schwarzen Brüder und Schwestern meinen, Zakia bevorzuge nicht nur Djaafar, sondern überhaupt alle Afghanen und andere Muslime; und genauso meinen einige Bleichgesichter, Tony würde sich nur für die Dunkelhäutigen unter uns einsetzen. Doch das ist alles pubertäres Getue unausgereifter Persönlichkeiten, wenn man mich fragt. Und gerade bei Zakia ist dieser Vorwurf ungerecht, denn sie bemüht sich aufopfernd um alle hier im Leo. Zu aufopfernd vielleicht, denn sie macht mehr Überstunden als alle anderen, und die meisten davon unbezahlt; am liebsten möchte sie sich um jeden kümmern, nicht nur um die drei Schützlinge, die ihr direkt anvertraut sind. Du kannst nicht noch mehr für sie tun, das ist ein Satz, den Zakia oft zu hören bekommt, was sie jedoch als Herzlosigkeit ihrer Kollegen auslegt. Aber sie haben doch sonst niemand, der sich für sie kümmert, lautet ihre Antwort. Am liebsten würde sie wohl uns alle an ihren üppigen Busen drücken, um uns solcherart, die Sechzehnpfünder in Stellung gebracht, UUUUND : FEUER!!! vor dem Zugriff der staatlichen Abschieber zu schützen.
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Heute, liebe Leute, sollt ihr lernen, wie man sich durch die Stadt bewegt. Ihr kommt aus den Weiten der Wüste, aus den Tiefen des Urwaldes, ihr müsst nun lernen, wie man sich durch den Großstadtdschungel schlägt. Die Macheten könnt ihr zu Hause lassen, Lianen werdet ihr vergeblich suchen, und auf Kamele, lieber Murad, werdet ihr auch verzichten müssen. Kamele
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