Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
schweifen und beginnt plötzlich zu weinen. Was ist denn los, mein Kind, frage ich bestürzt. Was macht ihr da, will plötzlich eine Stimme hinter uns wissen. Ich drehe mich um, ein kleines, gelb bemänteltes Wesen männlichen, vielleicht aber auch sächlichen Geschlechts steht da und beäugt misstrauisch unsere Gruppe. Oma geht es nicht gut, antworte ich, sieht man das nicht? Welcher Oma, fragt es mit hoher Stimme und blickt ratlos von einem zum anderen. Was macht ihr da, fragt es noch einmal. Wir kaufen ein, guter Mann. Aber ihr habt nichts im Einkaufswagen. Aber natürlich, entgegne ich und nehme vor seinen Augen zwei Flaschen Olivenöl aus dem Regal und lege sie in den Wagen. Wieder ein ratloser Blick, ein Blick, der sich am Kopf zu kratzen scheint. Und was habt ihr da drin, fragt es dann und deutet auf Omas in plastische Säcke verpackte textilische Neuerwerbungen. Gestohlene Ware, antworte ich verschwörerisch leise, aber bitte nicht weitersagen! Na, das hab’ ich mir ja gleich gedacht! Security, ruft das gelbe Wesen plötzlich laut und beginnt mit seinen kurzen Armen zu fuchteln, Security! Dann läuft es Richtung Kasse davon.
Help, I need somebody, spielt unsere Band. Schnell, wir müssen weg, sagt Nicoleta mit angsterfülltem Blick. Oma hat zu weinen aufgehört, auch in ihrem Gesicht ist groß das Wort PANIK zu lesen, Murad sagt nichts. Aber nicht doch, entgegne ich Nicoleta, wir wollen doch noch ein bisschen Spaß haben! Im selben Augenblick kommt unser gelber Freund mit einem blau gekleideten Security-Menschen zurück. Steht Ihnen ausgezeichnet, die Uniform, begrüße ich den ein wenig schüchtern wirkenden jungen Mann. Er wird rot. Was ist da drin, will auch er wissen und deutet auf die inkriminierten Kleidungsstücke. Wir haben gekauft bei Schops, antwortet Nicoleta. Seine schlanken, gepflegten Hände gehen Oma an die soeben gekaufte Wäsche, wühlen durch Slips und Büstenhalter und T-Shirts, sein Gesicht wird noch röter, dann verlangt er nach der Rechnung. Nicoleta zeigt sie ihm. Und was ist mit den Jackentaschen, wendet er sich mit kaum wahrnehmbarem Akzent, den ich sogleich der dritten Generation ostanatolischer Einwanderer zuordne, an mich. Ich reiche ihm meine Jeansjacke. Meine Taschen sind auch deine Taschen, sage ich auf Türkisch. Du … du sprichst auch Türkisch? Er lässt meine Jacke sinken. Aber bitte, bitte, insistiere ich, ich habe nichts zu verbergen. Ja, hallo, schaltet sich der Gelbe entrüstet ein, wieso … wieso sprecht ihr denn jetzt Ausländisch? Das … das … das ist doch nur ein Ablenkungsmanöver! Gut erkannt, gebe ich zurück. Ich beginne mein Hemd aufzuknöpfen, ziehe es aus, schwinge es ein paar Mal über meinem Kopf und lasse es in seiner Richtung davonsegeln. Er weicht aus, als versuchte er einem tödlichen Geschoss zu entgehen, sein Gesicht wird knallrot, er fängt zu stammeln an, ich schnalle meinen Gürtel auf, bewege kreisend meine Hüften, unsere Begleitmusiker spielen Ravels Bolero. Aufhören, ruft er, aufhören! Ist schon gut, sagt mein neuer türkischer Freund und reicht mir meine Jacke, ist schon gut. Eine Frechheit ist das, schmeißen Sie diese Menschen hinaus, schnaubt der Gelbe wütend. Die Musik wird lauter und lauter. Ich beuge mich hinunter, um mein Hemd wieder aufzulesen. Beugen wir gemeinsam, mein Freund, ermuntere ich ihn, das Vorurteil, des Vorurteils, dem Vorurteil, das Vorurteil, beugen wir gemeinsam vor, plädiere ich, auf dass es nie wieder zu einer solchen Situation kommen möge. Frechheit, schnaubt Rumpelstilzchen, und die Band, sie spielt derweilen Granada.
Wie war euer Ausflug, will Zakia am nächsten Tag beim Mittagessen wissen. Stockend und nach Worten suchend berichten Oma und Murad von ihren Erlebnissen, ich lasse den beiden den Vortritt und mische mich nicht ein, damit niemand behaupten kann, ich drängte mich immer in den Vordergrund. Zakia legt Oma den Arm um die Schulter, als Murad ihren Tränenausbruch im Supermarkt erwähnt, Oma senkt beschämt den Kopf. Mir ist genauso gegangen beim ersten Einkauf in Österreich, tröstet Zakia, volle Regale, so viele Lebensmittel, das war ganz verrückt! Und Oma nickt. Too much, sagt sie leise, too much.
Vom Nachbartisch ist Afrims laute Stimme zu vernehmen, er ist gerade dabei, einer neugierigen Gefolgschaft alle Vorzüge seines neuen Mobiltelefons zu erklären. Yaya betritt den Raum, holt sich eine Portion Spaghetti bolognese und setzt sich neben Mira ans andere Ende unseres Tisches. Seit dem
Weitere Kostenlose Bücher