Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
suhlen scheint, nimmt ihr den Atem, noch mehr aber stößt sie sich an seiner behäbigen, durch nichts zu erschütternden Art, die sie ihm als Gleichgültigkeit auslegt. Abwarten und Tee trinken, dieser Spruch wurde, was vielleicht nicht allgemein bekannt ist, für Ahmed Haluk Aksu erfunden. Alles wird sich finden, regeln und in Wohlgefallen auflösen, so sein gelebtes Credo, wenn man nur genügend Tee trinkt, türkischen Tee natürlich, stark gesüßt und in kleinen schlanken Gläsern auf leise klappernden Blechuntersetzern serviert. Doch Zakia tut ihm Unrecht, denn genauso wie Haluk vor fünfzehn Jahren seinen Vater aus dem von Soldaten in Brand geschossenen Haus trug und ihn erst nach langer Flucht wieder absetzte, genauso würde er auch für uns eintreten, wenn es darauf ankäme.
Ich weiß auch nicht genau, was wir machen können, antwortet Zakia dem Onkel, zu der Zeitung schreiben, zu den Grünen, was weiß ich nicht. Dann müssten wir fast jede Woche an die Öffentlichkeit gehen, kontert der Onkel. Und warum tun wir das nicht? Der Oheim seufzt. Zakia, wie lange machst du diesen Job nun? Länger wie du, aber ich bin noch nicht so … so resigniert wie du. Für dich es ist nur ein Job – für mich es ist mehr, viel mehr. Du hast selbst nicht erlebt, wie das ist, ein Flüchtling zu sein, du weißt nicht … Das heißt aber noch lange nicht, dass ich mich deshalb nicht für Flüchtlinge einsetzen würde, unterbricht der Onkel. Zakia, setzt er beschwörend fort, du weißt, wie beschränkt unsere Möglichkeiten hier sind, ich weiß, es tut weh, sich das eingestehen zu müssen, aber damit müssen wir alle tagtäglich leben. Zakia murmelt etwas, das ich nicht verstehen kann. Vielleicht nützt die Berufung doch etwas, versucht Haluk sie noch einmal zu trösten, doch Zakia macht eine wegwerfende Handbewegung. Und ihr geht jeden Tag nach Hause, als ob wäre nichts geschehen, als ob wäre alles wunderbar, sagt sie finster und geht rasch aus dem Raum, damit die beiden Männer ihre Tränen nicht sehen.
Die sanftmütige Zakia mit den Augen eines traurigen Clowns: Alles an ihr wirkt müde, jedes Wort ist ein Seufzer. Wer würde ahnen, mit welch Entschlossenheit und Tatkraft sie als Dreizehnjährige ihr Schicksal selbst in die Hand nahm, als Dreizehnjährige, die von der Mutter erfuhr, dass sie in wenigen Wochen heiraten sollte. Er ist ein angesehener Mann, hat ein großes Haus mit fruchtbarem Land, er hat viele Schafe und Ziegen, überschlug sich die Mutter mit ihrem Lob für den zukünftigen Schwiegersohn. Zakia fürchtete sich. Gerade noch hatte sie mit ihren Freundinnen gespielt, nun sollte sie heiraten. Als sie kurz darauf ihren zukünftigen Ehemann kennenlernte, verwandelte sich die Furcht in Schrecken: Der Mann, den ihre Eltern für sie ausgewählt hatten, war zwei Jahre älter als ihr Großvater, ein Mann mit grauen Haaren, der nicht merkte, dass ihm beim Essen die Reste im Bart hängen blieben, ein Mann, der sie mit unverhohlen lüsternen Blicken von oben bis unten ansah und ihr mit schmieriger Hand über die Wangen strich. Zakia heulte tagelang, sie aß nichts, sie flehte die Eltern auf Knien an, doch es half nichts. Zakia hoffte auf ein Wunder, doch das Wunder kam nicht, und so wurde sie zum vorgesehenen Termin verheiratet.
Der Mond half ihr über die Hochzeitsnacht hinweg. Ich habe meine unreinen Tage, sagte sie mit hochrotem Gesicht zu ihrem Ehemann, Sie müssen noch ein wenig Geduld haben. Als die von den Göttern geschickten Tage vorbei waren, musste er sich noch weiter gedulden, denn sie bekam plötzlich hohes Fieber, das sie zwei Wochen ans Bett fesselte. Als sie wieder gesund war, verließ sie heimlich das Haus ihres Mannes und marschierte einen ganzen Tag und eine Nacht lang zu ihren Eltern. Sie bat und bettelte und flehte, doch vergebens; ihr Vater und ihr ältester Bruder brachten sie zu ihrem Mann zurück. Sie unternahm einen zweiten Versuch, doch mit demselben Ergebnis. Ich bring dich um, wenn du Schande über die Familie bringst, drohte der Bruder zum Abschied, und Zakia wusste, er würde es tatsächlich tun. Da beschloss sie zu fliehen.
Sie hatte beobachtet, wo ihr Mann sein Geld aufbewahrte, und sie nahm einen Teil davon an sich. Mit dem Esel ritt sie nachts ein Stück über die Berge, dann bestieg sie einen Bus nach Ghazni, wo eine Tante lebte, eine Schwester des Vaters, mit der er sich zerstritten hatte. Die Tante nahm sie auf, doch Zakia wusste, dass es nicht lange dauern konnte, bevor ihre
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