Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
hört nicht auf mich. Ein wenig sicherer schon als zuvor und noch immer glücklich lächelnd hüpft sie auf die himmelwärts fahrende Rolltreppe. Wir helfen dich, sagt Nicoleta zu Murad, allein, weder Dativ oder Akkusativ noch Murad möchten sich solcherart zu einer Rettung überreden lassen. Schließlich und endlich gelingt es uns aber doch, Herrn Magomazov auf die Rolltreppe zu manövrieren, Nicoleta rechts, ich links, Oma, noch immer selig lächelnd, hinter uns. Murad hält die Augen geschlossen, erst nach einer Weile wagt er sie zu öffnen. Noch, ruft Oma, als wir unten angelangt sind, und wir erfüllen ihr den Wunsch.
In der U-Bahn gibt es keine besonderen Vorkommnisse, ein Mann setzt sich weg, als ich mich neben ihn platziere, ein anderer sagt: Es stinkt, das Übliche eben. Die Vorstadtmadonna mit Kind, neben der sich Oma niederlässt, sucht sich zwar keinen anderen Sitzplatz, doch als das Kleinkind mit neugierigen Fingern Omas dunkle Hände berührt und dadurch ein Lächeln auf deren Gesicht zaubert, wischt die Mutter ihm, wenn auch ein wenig verschämt, die Hand mit dem Taschentuch ab. Omas Lächeln erstirbt. Gnädigste, kläre ich die junge Mutter auf, das wird nix nützen, da müssen Sie schon was Stärkeres zum Desinfizieren verwenden. Sie wirft mir einen angsterfüllten Blick zu und holt ein weiteres Taschentuch hervor.
Das, liebe Kinder, ist eine Ampel, erkläre ich, als wir wieder ans Tageslicht zurückkehren und an einer Kreuzung stehen bleiben. Bei Rot ist Halt, grün ist gut, sagt Nicoleta, mit Grün darfst du gehen. Merkt euch, präzisiere ich, zuerst auf Ijaw, dann auf Tschetschenisch: Sei schnell bei Grün, bleib stehen bei Rot, denk immer dran, sonst bist du tot. Das ist jetzt übrigens nicht politisch zu verstehen, meine Lieben, auch wenn sich die Schwarzen gerne über die vielen roten Ampeln beschweren, wichtig ist jedenfalls, dass ihr NIE BEI ROT über die Straße geht, hört ihr, auch dann nicht, wenn drei Tage lang kein Auto vorbeikommt. Die Menschen hier lassen sich lieber bei Grün von einem Auto überfahren, als bei Rot die Straße zu überqueren; lieber tot als rot, könnte man sagen, aber da wären wir schon wieder bei der Politik gelandet. So, und weil ihr so brav wart, meine Lieben, gehen wir jetzt noch zur Belohnung mit euch einkaufen.
Musik empfängt uns im Einkaufszentrum, eine Band spielt zu unserer Begrüßung und begleitet uns auf unserem Weg durch das Gebäude. Auf unserer ausgedehnten Wanderung zeige ich Murad und Oma, wo sie Abendkleider, Plasmafernseher, Snowboards, Lackschuhe, Gartenmöbel, Kaffeemaschinen und andere Artikel für den täglichen Bedarf kaufen können. Omas Augen werden größer und größer, das Lächeln ist verschwunden, Murads Blick wird grimmiger und grimmiger, und als wir schließlich an einem Dessous-Geschäft vorbeikommen, die Band spielt gerade Diamonds Are a Girl’s Best Friends, spuckt er angewidert auf das Schaufenster. Das ist widerlich, schimpft er auf Tschetschenisch, während ich ihn rasch davonziehe. Das, lieber Freund, wird hier nicht so gerne gesehen.
Oma braucht Kleidung, konstatierte Mira, bevor wir zu unserer Expedition aufbrachen, vor allem Unterwäsche, lautete der an Nicoleta gerichtete Zusatz, worauf sich Murads Gesichtsfarbe dem Rot von Omas T-Shirt näherte. Während die beiden Damen also mit dem von Mira ausgehändigten Geld in einem billigen Bekleidungsgeschäft verschwinden, setzen Murad und ich unseren Schaufensterbummel mit musikalischer Begleitung fort. Keine drei Stunden später, und die Damen sind fertig, und so steuern wir schließlich gemeinsam den Supermarkt an, der am Ende des weitläufigen Einkaufszentrums liegt. Wir nehmen einen Einkaufswagen, obwohl wir nichts kaufen wollen, doch ich möchte den beiden Neulingen zeigen, was wo zu finden ist. Wir spazieren unter den misstrauischen Blicken von Angestellten und Überwachungskameras durch die langen Reihen, Solche wie euch brauchen wir hier nicht, lassen sie uns wortlos wissen, Wir sehen alles, warnen sie. Doch mit Nicoleta ist kein Weiterkommen, sie bleibt alle paar Meter stehen und blickt mit unverhohlener Lust zu den himmelhoch getürmten Nahrungsmitteln auf. Meine Mutter müsste das sehen, die vielen Lebensmittel, murmelt sie mit verträumtem Gesichtsausdruck. Auch Oma scheint mit ihren Gedanken irgendwo im Delta des Niger, jedenfalls aber weit, weit weg zu sein, auch sie bleibt stehen, lässt den Blick über fünfzig Sorten Öl und ebenso viele Essigarten
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