Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
hinterlassen. Aber sag’ mir, scheißt man in Tschetschenien Rosenblüten? Er gibt keine Antwort. Noch immer steht er an der Tür, als glaubte er, seinem Schicksal doch noch irgendwie entrinnen zu können. Bevor er sich drücken kann, drücke ich ihm Tuch und Putzmittel in die Hand, er fasst beides mit spitzen Fingern an. Putzen ist etwas für Frauen, murrt er, in Tschetschenien putzen die Männer nicht. Das mag schon sein, junger Freund, aber wir sind hier nicht in Tschetschenien, falls dir das noch nicht aufgefallen ist. Da, ich deute auf die drei Toiletten, die Klomuscheln harren schon sehnsüchtigst deiner helfenden Hände, aber lass’ dich nicht auf Gespräche mit ihnen ein, das bringt nichts. Widerwillig setzt sich Murad in Bewegung und beginnt sein reinigendes Werk. Wieso gibt es hier keine Putzfrauen, grummelt er vor sich hin, der Kopf halb in der Klomuschel verschwunden. Solltest du je Asyl in Österreich bekommen, wirst du dir sicher keine Putzfrau leisten können, belehre ich ihn, betrachte also den Dienst hier als Lektion fürs Leben. Ich werde eine Frau haben, die für mich putzt. Oho, Herr Magomazov hat ja große Pläne! Aber abgesehen davon: Es gibt hier im Haus einfach gewisse Regeln, die für das Zusammenleben notwendig sind und an die man sich zu halten hat. Punkt, aus, Ende der Durchsage.
Eine Zeit lang putzen wir schweigend Seite an Seite, ich putze, du putzt, er/sie/es putzt, wir putzen, ihr putzt, sie putzen, Danke, setzen, sehr gut. Verstehst du, es geht um Verantwortung, die jeder von uns übernehmen muss, erklären mein Spiegelbild und ich dem tschetschenischen Zwillingspaar, nachdem wir von den Klomuscheln zu den Waschbecken übergegangen sind, Verantwortung für uns selbst, Verantwortung für die Gemeinschaft, ob nun beim Putzen oder bei anderen Dingen. Und Putzen hat ja auch etwas Schönes an sich, füge ich hinzu, während ich meinem Spiegelbild zärtlich die Fresse poliere, nicht umsonst steckt darin das Wort Zen, und mit jedem Put-zen kommt man der Erleuchtung ein Stück näher.
Murads Gesichtsausdruck entnehme ich, dass er mit fernöstlicher Weisheit nicht viel anzufangen weiß, und so versuche ich es stattdessen mit Musik. Ich stimme die russische Hymne an, realisiere aber schnell, dass es vermutlich für Tschetschenen besser geeignetes Liedgut gibt. Once I knew a cleaner, beginne ich zu improvisieren, he was a happy man. His wife’s name was Irina, he’d met her in Iran. He liked to do the dishes, he loved to scrub the floor. He knew his young wife’s wishes and even cleaned the door. The cleaner said O honey! and washed her silken hood, Irina took some money and left him soon for good. Rhythmisch bewegt sich das Tuch über Spiegel und Waschbecken, und ich schmettere Always Look on the Bright Side of Life hinaus in die blitzblanke Badewelt. Siehst du, war ja alles halb so schlimm, sage ich, als wir schließlich zu zweit den Waschraum verlassen, aber nun, nun putz dich, junger Freund!
Nach Deutschkurs und Mittagessen beschließe ich, wieder einmal Auge und Ohr an die richtige Stelle zu legen. Wie gut, dass für die Installation einer neuen Heizung so manches Loch in so manche Wand geschlagen wurde … Ich nehme meinen Posten in dem an des Onkels Büro angrenzenden Raum ein und werde Zeuge eines Gesprächs zwischen Zakia, Haluk und dem Oheim. Ist die Beschwerde für Djaafar schon geschrieben, wendet sich der Onkel gerade an Zakia. Ja, gibt sie zurück, schon, aber der Rechtsvertreter sagt, dass er sieht keine großen Chancen. Dann können wir leider auch nichts mehr tun, meint der Onkel bedauernd. Aber … aber …, stammelt Zakia … das kann doch nicht sein, es kann dir nicht egal sein, was mit Djaafar passiert, was … Zakia, unterbricht der Onkel, ich weiß, dass dir Djaafar, als Landsmann sozusagen, besonders am Herzen liegt, und du weißt, dass er mir nicht egal ist, dass mir keiner unserer Jugendlichen egal ist. Aber was sollen wir denn deiner Meinung nach tun, wenn die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind? Sind sie ja noch nicht, schaltet sich Haluk beschwichtigend ein, warte mal ab, vielleicht hilft die Beschwerde doch. Zakia wirft ihm einen missbilligenden Blick zu; Haluk, der fünfte im Betreuerbunde, schafft es jeden Tag aufs Neue, sie, ob mit oder ohne Absicht, auf die Palme zu bringen. Sein perfekt gezogener Scheitel und die messerscharfen Bügelfalten an den Hosen stören ihren Unordnungssinn, das süßliche Rasierwasser, in dem er sich Tag für Tag zu
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