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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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Vorfall mit Murad ist er noch schweigsamer und unzugänglicher als zuvor, er merkt, dass einige Mädchen Angst vor ihm bekommen haben und ihm aus dem Weg gehen. Man hat ihm irgendwelche starken Medikamente verpasst, die ihn beruhigen sollen, er kann sich jedenfalls auf nichts konzentrieren und schläft manchmal im Deutschkurs ein. Mira begrüßt ihn. Du sollst Dr. Davidovych anrufen, er muss den heutigen Termin verschieben. Yaya nickt und isst weiter, ohne aufzublicken. Davidovych ist einer der beiden Seelenklempner, zu deren Besuch mich Mira und der Onkel immer wieder zu überreden versuchen. Ich habe versucht, bei seiner ersten Sitzung mit Yaya zumindest mit einem Ohr dabei zu sein, doch vergebens – das Sitzungszimmer, hausintern die Gummizelle genannt, ist leider selbst für mich abhörsicher. Die Albträume, aus denen Yaya schreiend erwacht, haben durch die Medikamente und die psychologische Betreuung jedenfalls nicht aufgehört, ganz im Gegenteil, sie scheinen an Häufigkeit und Intensität zuzunehmen.
    Hallo, Schatz, begrüßt Mira ihre Tochter. Alenka lässt mitten im Raum ihre Schultasche zu Boden fallen – sie ist natürlich genauso bunt wie ihre Kleidung – und geht schnurstracks zur Anrichte, auf der die beiden Töpfe mit Pasta und Ragù stehen. Chin hat gekocht, für mich ist also Ramadan. Na, bekomm’ ich heute keinen Kuss, fragt ihre Mutter, als sich Alenka zu Tisch setzt. Zuerst muss ich essen, antwortet das Töchterchen, ich sterbe vor Hunger! Sag so etwas nicht, rügt die Mutter. Wieso nicht, es stimmt doch. Weil … Mira bleibt die Begründung schuldig. Und wo bleibt mein Kuss, frage ich. Alenka wirft mir einen abschätzigen Blick zu. Eine Nuss kannst du haben, sagt sie. Jaja, seufze ich, ganz die Frau Mama …
    Vom Nachbartisch hört man weiterhin Afrims Erklärungen, begleitet von verschiedenen Klingeltönen. Afrim, bitte, wendet Mira sich um, wir wissen schon alle, dass du ein neues, teures und ganz wunderbares Handy hast, aber wir müssen nicht unbedingt jeden Klingelton kennenlernen. Aber diese du musst hören, sagt Afrim begeistert und spielt einen besonders aufdringlichen Ton, super, oder? Danke, Afrim, sehr schön, aber jetzt genügt’s. Okay, okay, murmelt er und klippt sich das Telefon an den Gürtel, damit es, wenn schon nicht gehört, so doch wenigstens von allen gesehen werden kann.
    Alenka steht auf, nimmt ihren Teller in die Hand und drückt ihrer Mutter im Vorbeigehen einen Bolognese-Kuss auf die Wange. Hier hast du deinen Kuss, sagt sie. Ach, du Ferkel, schimpft Mira zärtlich, du hättest dir vorher den Mund abwischen können! Erst jetzt fallen mir Alenkas Schuhe auf: Es sind die gleichen orange-grünen Plastikmonster mit Absätzen, die sich Mira erst kürzlich gekauft hat. Sind es die gleichen oder dieselben, frage ich mich, hat Mira ihrer Tochter neue Schuhe gekauft oder ihr die eigenen geschenkt oder geliehen? Ich verwende aus Umweltschutzgründen keine Servietten, gibt Alenka zurück, aber wozu hat man denn Mütter? Sie stakst auf verlängerten Beinen zum Geschirrspüler und stellt ihren Teller hinein, Mira wischt sich mit ihrer Serviette die Wange ab. Kurz darauf dreht sie sich genervt um und möchte losschimpfen, als erneut Afrims Telefon zu hören ist, doch diesmal hat er einen Anruf bekommen, kann also ausnahmsweise nichts dafür. Ja, gleich, sagt er nur und verlässt den Raum.
    In der Tür begegnet ihm Nicoleta. Hallo, grüßt er, doch Nicoleta reagiert nicht. Sie lässt ein paar nervöse Blicke über die Tischrunde schweifen, dann wendet sie sich wieder ab und geht aus der Küche. Ihr Gesicht ist zwar nur einen Moment lang zu sehen, lange genug jedoch, um die verweinten Augen zu erkennen, und nicht nur ich habe sie gesehen, sondern auch Mira. Stirnrunzelnd steht sie auf, streicht im Vorbeigehen ihrer Tochter ein wenig zerstreut über den Kopf und folgt Nicoleta.
    Haluk, der bisher am Nachbartisch saß, steht ebenfalls auf. Leute, gibt es irgendjemand, der Taschengeld haben möchte? Wenn nicht, dann gehört es nämlich mir! Immer das Gleiche, wie wär’s mit einem neuen Schmäh, frage ich, doch er ignoriert meinen Einwurf. Gesichter erhellen sich, Ich, Ich, Ich, rufen einige, andere strecken die Hände in die Höhe wie Vorzugsschüler. Kommt, meine Lieben, flötet Haluk der Halunke, und der Rattenfänger zieht nicht nur die übliche Wolke billigen Rasierwassers, sondern auch einen Schweif von Halbwüchsigen hinter sich her; der Haluk’sche Komet, er weist den Weg

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