Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
ins Büro, wo sich der allmonatliche Geldsegen zu ereignen pflegt. Zaster für den Rasta, Moneten für Analphabeten, Tausche Mäuse gegen Läuse, Mariä Empfängnis also. Bei den meisten werden die vierzig Euro für Telefon oder Zigaretten oder beides ausgegeben, bei anderen für Alkohol oder sonstige verbotene Früchte oder Früchtchen, nur wenige sparen, aber wozu denn auch?
Ich bleibe sitzen, auch Amal und Kamal sind dem Ruf des Rattenfängers nicht gefolgt, denn sie haben Küchendienst. Afrim macht so viel Dreck, beschwert sich Amal, während sie einen der beiden Tische säubert. Kamal nickt, doch es scheint ihn nicht weiter zu stören, denn Putzen ist seine heimliche Leidenschaft. Schließlich und endlich begebe auch ich mich ins Büro und hole die mir zustehende Kohle ab, wenn ich auch nicht allzu viel Verwendung dafür habe.
Auf dem Gang läuft mir Mira über den Weg. Was ist mit Nicoleta, frage ich. Sie mustert mich ein wenig irritiert und zögert kurz. Nichts, sagt sie dann, sie hat heute einfach einen schlechten Tag. Mira scheint auch einen schlechten Tag zu haben, diese Ringe unter den Augen, sie gefallen mir nicht, und blass sieht sie aus, aber ich habe ja ohnehin längst das Interesse an ihr verloren. Du bist eine schlechte Lügnerin, sage ich. Und du bist ein Frechdachs!
Sie geht Richtung Treppe davon, ich Richtung Zimmer. Eine innere Stimme bringt mich dazu, mich noch einmal umzudrehen und ihr nachzublicken, und in diesem Moment sehe ich etwas, das ich schon längst vermutet, befürchtet, vorausgeahnt habe: Lukas Neuner, soeben dem Aufzug entstiegen und Miras ansichtig geworden, zieht Letztere an sich und küsst sie sabbernd auf die Lippen. UND SIE LÄSST ES MIT SICH GESCHEHEN! SIE LÄCHELT SOGAR!! UND KÜSST IHN ZURÜCK!!! Dann trennen sich die beiden, Mira geht lächelnd und federnden Schrittes die Treppe hinunter, Lukas geht leider nicht zur Hölle, ich gehe auf mein Zimmer, und die Welt geht unter.
Nachts besitzt Mira dann doch tatsächlich die Frechheit, sich in meine Träume zu drängen, ganz so, als hätte sie mich nicht schmählich verraten und betrogen. O Ali, säuselt mir die falsche Schlange ins linke Ohr, besorg’s mir bitte mal so richtig, und weil ich ein weiches Herz habe, erfülle ich ihr den Wunsch gleich drei Mal. Und dann liegt plötzlich Nino auf der anderen Seite. O Ali, sagt sie und knabbert an meinem rechten Ohr, ich möchte deine heiße Schokolatte in mir spüren, und weil ich ein Gentleman bin, kann ich auch ihr diesen nur allzu verständlichen Wunsch nicht abschlagen. Nach dem dritten Durchgang kommt Alenka und setzt sich neben uns auf den Bettrand, sie hat noch immer ihre bunten Plastikschuhe an. Schau mal, Schatz, sagt Mira und deutet auf meine erschlaffte Männlichkeit, hat Ali nicht einen schönen Schwanz? Mir ist es furchtbar peinlich, Alenka ist ja noch ein Kind, doch sie zuckt nur mit den Schultern. Er wird ja sowieso abgeschnitten, sagt sie. Erst jetzt bemerke ich das blitzende Messer in ihrer Hand, ich werde totenbleich, mein bestes Stück schrumpft vor Schreck auf einen Bruchteil seiner Größe zusammen. Keine Angst, sagt Alenka, abgeschnitten wird erst nachher. Wonach, möchte ich fragen, bringe jedoch kein Wort heraus. Sie scheint mich trotzdem verstanden zu haben. Nachdem du alle Frauen im Haus geschwängert hast, natürlich. Sie deutet zur Tür, und da erkenne ich Zakia und Amal und Taisa und Djamila und Oma und dahinter noch andere Betreuerinnen und Flüchtlinginnen, sie warten freundlich lächelnd in Reih’ und Glied. Aber warum, möchte ich schreien, doch wieder dringt kein Laut aus meiner Kehle, und wieder hat Alenka mich verstanden. Wegen der niedrigen Geburtenrate, du Dummkopf, du weißt doch, wie dringend Österreich Kinder braucht! Okay, antworte ich stumm, mir meiner Pflicht gegenüber diesem Land bewusst werdend. Österreich braucht dich, Ali, wispert mir eine Stimme ins Ohr, Don’t ask what your country can do for you, gesellt sich eine zweite hinzu, ask what you can do for your country. Der Tag der Umvolkung naht, Völker, hört die Signale, auch meine Teleskopantenne empfängt selbige und wächst stolz ihrer Aufgabe entgegen, die Hände können sie nicht mehr verdecken. Siehst du, so ist’s brav, lobt Alenka. Aber wieso musst du danach mein … mein bestes Stück abschneiden? Sie zuckt wieder mit den Schultern. Das ist der Deal, den wir mit der Familienministerin gemacht haben, und mit fachkundigen Bewegungen wetzt sie das Messer an einem
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