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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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dass du kommst, sagt sie mit verlegenem Lächeln. Später sind beide in der Küche, Mira sucht und findet eine Flasche Plavac, sie öffnet sie mit ungeübten Bewegungen. Ich trinke nicht oft zu Hause, sagt sie. Die beiden setzen sich an den Küchentisch, prosten einander zu, Mladko lobt Essen und Wein, wie es jeder höfliche Gast tun würde. Familie und Freunde sind das Gesprächsthema. Dein Vater lebt noch, sagtest du? Mladko nickt. Aber es geht ihm ziemlich schlecht, er hatte vor zwei Jahren einen Schlaganfall, von dem hat er sich nicht wirklich erholt. Und deine Eltern, will er wissen, und Mira berichtet. Manchen gemeinsamen Bekannten geht es gut, einige sind ums Leben gekommen, andere verschollen, die meisten leben nicht mehr in der Heimat, die Jahrhundertflut des Krieges, sie hat sie entwurzelt, fortgerissen und als Strandgut an fremde Gestade gespült. Als das Thema erschöpft ist, hört man eine Weile nur das Klappern des Bestecks und das Ticken der Uhr über dem Küchentisch, und jeder kaut schweigend an seinen eigenen Gedanken.
    Du hast eine Tochter, fragt Mladko dann. Mira nickt. Sie ist übers Wochenende bei einer Freundin. Ist sie das? Er deutet auf ein Foto an der Wand hinter Mira. Sie nickt, ohne sich umzuwenden. Sie heißt Alenka. Alenka … Mladko probiert den Namen, wie man einen Schluck Wein probiert. Und wie alt ist sie? Sie ist vor Kurzem elf geworden. Wann? Im Oktober. Mladko scheint in Gedanken nachzurechnen. Am wievielten, möchte er wissen. In Miras Gesichtsausdruck schleicht sich etwas Abwehrendes. Am vierzehnten, gibt sie kühl zu Protokoll. Was willst du eigentlich von mir, bricht es plötzlich ungewöhnlich heftig aus ihr hervor, du hast dich mehr als elf Jahre um nichts, um gar nichts gekümmert, es war dir egal, ob ich lebe oder nicht, es war dir egal, ob es mir gut geht oder nicht – und jetzt kommst du und fängst plötzlich an, Fragen zu stellen? Mladko wirkt bestürzt über ihren Ausbruch. Ich … ich … wollte dich sehen, stammelt er, ich musste dich sehen. Mira schweigt. Freust du dich nicht, fragt Mladko. Natürlich freu’ ich mich, ich freu’ mich unglaublich, dass du lebst! Aber warum hast du mich so lange im Glauben gelassen, du wärst tot? Ich … ich konnte nicht. Konnte nicht was? Ich konnte nicht zurückkommen, das hab’ ich dir doch heute schon gesagt. Er senkt den Blick. Es war Krieg, ich bin desertiert, ich musste mich verstecken. Mladko, der Krieg, von dem du sprichst, ist seit mehr als zehn Jahren vorbei. Mladko schüttelt den Kopf. Nicht für mich, für mich war der Krieg nicht vorbei. Und jetzt, jetzt ist er vorbei? Mladko blickt zu Boden. Ich weiß es nicht, sagt er leise. Mira stellt das Weinglas ab und richtet sich auf. Mladko, sagt sie, und sie klingt dabei sehr müde, dieser Krieg war schrecklich für uns alle, aber irgendwann muss jeder sich … muss jeder wieder in den Alltag zurückkehren, wieder zu leben beginnen. Auch Mladko stellt sein Glas ab, dann stützt er die Ellbogen auf den Tisch und lässt den Kopf in die Hände sinken. Ich habe Dinge erlebt, murmelt er, Dinge, nach denen es keinen Alltag mehr gibt. Möchtest du darüber reden, über diese … Dinge? Mladko schüttelt den Kopf, ohne aufzublicken.
    Wo hast du gelebt, fragt Mira dann. Ach, hier und dort, bleibt Mladko vage, ich bin nirgendwo lange geblieben. Und warum hast du nicht wenigstens angerufen? Oder geschrieben? Ich wollte, beteuert er, ich hab’ es mir immer wieder vorgenommen, ich hab’ auch ein paar Briefe begonnen. Aber es … es ging einfach nicht. Was ging nicht?
    Statt zu antworten, steht Mladko auf und geht um den Tisch und um Mira herum zu Alenkas Foto. Sie sieht mir nicht ähnlich, stellt er fest, nachdem er das Bild eingehend betrachtet hat. Mira dreht sich halb zu Mladko um und atmet tief durch, bevor sie antwortet. Die Mundpartie schon, sagt sie. Wenn du Alenka siehst, wirst du es bemerken. Gab es einen anderen Mann, fragt Mladko plötzlich. Du … du hast kein Recht, solche Fragen zu stellen, antwortet Mira scharf. Gab es einen anderen Mann, beharrt Mladko auf seiner Frage. Deshalb bist du also nach Österreich gekommen? Um mir nach elf Jahren diese Frage zu stellen? Während Mladko wieder auf die andere Seite des Tisches zurückkehrt, sinkt Mira plötzlich in sich zusammen und beginnt zu schluchzen. Ich weiß es nicht, sagt sie, ich weiß es einfach nicht. Was heißt, du weißt es nicht? Heißt das, es gab einen anderen Mann, und du weißt nicht, ob das Kind von ihm

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