Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
konntest ja nicht wissen, dass er noch am Leben ist, versucht er ihre Schuldgefühle zu vertreiben, er hätte sich ja melden müssen. Mira gibt keine Antwort. Warum hast du eigentlich Mladkos Nachnamen behalten, will Lukas wissen. Mira nimmt sich Zeit für die Antwort. Ich habe … wie sagt man das … den Kopf in den Sand gehalten? Gesteckt, korrigiert der Lehrer. In den Sand gesteckt, ja, ich wollte nichts mit Ämtern, mit Behörden zu tun haben, ich habe so getan, als wäre Mladko noch am Leben. Und das hat funktioniert? Durch das Chaos nach dem Krieg und dem Zerfall Jugoslawiens hat es funktioniert, ja. Und irgendwie … irgendwie war es vielleicht auch kindlicher Aberglaube – solange ich den Namen behalte, solange bleibt Mladko am Leben. Scheint jedenfalls funktioniert zu haben, wirft Lukas nicht ohne Sarkasmus ein. Und wie war das mit …, setzt er zu einer weiteren Frage an, doch dann bricht er ab. Wie war was? Nichts, blockt er ab, und ein wenig Trotz schwingt in seiner Stimme mit.
Leider bin ich nicht dabei, als Mladko Alenka kennenlernt, doch als ich die beiden zusammen sehe, hält sie sich auf große Distanz, antwortet einsilbig auf seine Fragen, weicht instinktiv aus, als er ihr über den Kopf streichen will, auch aus ein paar Metern Entfernung kann ich die Enttäuschung, die Kränkung in seinen Augen erkennen.
Ich bin auch nicht dabei, als Mira und Alenka zum ersten Mal über Mladko sprechen, ich weiß nicht, was Alenka weiß und was nicht. Ist er jetzt mein Vater oder nicht, fragt sie jedenfalls kurz vor Weihnachten. Sie sitzt zu Hause am Küchentisch, Mira steht am Herd und rührt mit konzentrierten Bewegungen in einer Pfanne. Sie sind allein in der Wohnung, Mladko ist unterwegs, um einen Freund zu besuchen. Ich weiß es nicht mit Sicherheit, antwortet Mira auf Serbokroatisch, ohne ihre Tochter anzusehen. Da kann man doch heute Tests machen, oder, schaltet auch die Tochter auf die Muttersprache um. Ach, kann man das? Du hast mich belogen, schreit Alenka plötzlich, du hast immer so getan, als wäre Mladko mein Vater, jetzt, wo er da ist, bist du auf einmal nicht mehr sicher. Ich hab’ dir doch gesagt, es gibt zwei Möglichkeiten, sagt Mira leise. Bist du sicher, dass es nur zwei sind und nicht fünf oder zehn? Ich halte den Atem an. Schon lässt Mira den Kochlöffel sinken, und bevor sie noch denken kann, dreht sie sich um, legt rasch die zwei oder drei Schritte zwischen Herd und Küchentisch zurück und verpasst ihrer Tochter eine Ohrfeige. Es dauert ein paar Sekunden, bevor Alenka erfasst, was geschehen ist, noch nie wurde sie von ihrer Mutter geschlagen, ihre großen Augen füllen sich mit Tränen, sie steht auf, geht aus der Küche, und man hört, wie sich die Badezimmertür öffnet und lautstark wieder schließt. Mira macht ein paar Schritte, um Alenka zu folgen, doch dann lässt sie sich auf einen Stuhl in der Küche sinken, und nun sind es ihre Wangen, die von Tränen benetzt werden. Als sie ein paar Minuten später vor der Tür zum Badezimmer steht und Alenka zum Öffnen auffordert, schreit es ihr nur entgegen: Lass’ mich in Ruhe, ich hasse dich! Mira entschuldigt sich für die Ohrfeige. Das wollte ich nicht, ich wollte dir nicht wehtun. Hast du aber, tönt es hasserfüllt zurück. Wer ist der andere, lässt Alenka nicht locker, und wo ist er, fragt sie, plötzlich wieder ins Deutsche verfallend. Ich möchte ihn sehen, ich hab’ genug von … von Geistervätern! Mira lehnt an der Tür, als brauchte sie eine Stütze. Ich weiß nicht, ob er … wo er heute lebt, sagt sie schwach. Na wunderbar, das ist das Gleiche, was ich schon seit Jahren höre: Ich weiß nicht, wo dein Vater ist, äfft Alenka ihre Mutter nach. Alenka, sagt Mira flehentlich, nun ebenfalls auf Deutsch, kannst du dir nicht vorstellen, dass es für mich … dass das auch für mich furchtbar schwer ist? Doch Alenka will keine Versöhnung, jedenfalls noch nicht. Wenn du damals besser aufgepasst hättest, schreit sie, dann wär’s heute nicht so schwer für dich! Mira gibt weinend auf, geht zurück in die Küche, wo mittlerweile die Sauce angebrannt ist.
17
Das Weihnachtsfest rückt näher, bevor wir aber geputzt und gestriegelt dazu antreten, morgen, Kinder, wird’s was geben, morgen werden wir uns freun, muss noch kurz von weniger Erfreulichem die Rede sein. Am Tag vor Weihnachten fängt Djamila nämlich am Mittagstisch plötzlich zu heulen an. Ich will nach Hause, schluchzt sie, an Amals Schulter gelehnt. Zu Hause, das
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