Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
oder von mir ist? Mira nickt langsam, und dieses Ja scheint Mladko mitten ins Herz zu treffen. Wer … wer …, setzt er an, doch dann hält er inne. Mira, meine Mira, beschwört er die Vergangenheit, wir haben uns doch so geliebt! Mira schluchzt auf. Mladko nimmt seinen Stuhl und stellt ihn neben den ihren, fasst sie an der Schulter, nimmt ihre Hand, und sie lässt es mit sich geschehen.
Ich bin immer und überall, wo es nottut, doch nicht einmal ich kann alle Menschen in diesem Haus Tag und Nacht im Auge behalten. Das wäre auch nicht wirklich sinnvoll, viel wichtiger ist es, zu wissen, wann, wo und von wem man gerade gebraucht wird. Es gibt jedoch Zeiten, da hat es die Gegenwart besonders eilig, zur Vergangenheit zu werden, und da kann es selbst mir passieren, dass ich nicht rechtzeitig am Ort des Geschehens eintreffe, dass ich nicht alle wichtigen Vorkommnisse mit eigenen Augen und Ohren erfasse.
Ich bin am nächsten Nachmittag zur Stelle, als Mladko einen Entschuldigungsversuch unternimmt. Er habe bis heute gebraucht, um alles im Krieg Erlebte zu verarbeiten, sagt er, sie sollten es noch einmal miteinander versuchen, darauf läuft die Entschuldigung hinaus, er mache einen Vaterschaftstest, erbietet sich der Möchtegernvater, aber es sei ihm egal, von wem das Kind ist. Mira schweigt. Vielleicht will sie die Wahrheit gar nicht wissen, vielleicht zweifelt sie daran, dass Mladko die Vergangenheit tatsächlich hinter sich gelassen hat. Wir haben uns doch so geliebt, beschwört Mladko erneut glücklichere Zeiten, doch diesmal ist Mira nicht bereit, mitzutanzen auf dem glatten Parkett der Erinnerungen. Ja, aber es war nicht der Krieg, der uns auseinandergebracht hat, kontert sie. Sondern? War es der andere Mann? Hör’ auf, warnt Mira, doch Mladko hört nicht auf. Nein, du warst es, bricht der Zorn wieder aus ihr hervor, du warst es, der sich schon lange vor dem Krieg aus unserer Beziehung zurückgezogen hat wie in ein Schneckenhaus!
Ich bin zur Stelle, als Lukas, der ein paar Tage aus beruflichen Gründen in Deutschland unterwegs war, vom Auftauchen des Totgeglaubten erfährt. Jahrelang hab’ ich mich selbst belogen und den Zerfall Jugoslawiens und den Krieg für das Ende unserer Beziehung verantwortlich gemacht, gesteht Mira ihm, aber das war eine bequeme Ausrede, es stimmte einfach nicht. Die große Liebe, die gab es in den ersten Jahren, ja, aber die Ernüchterung, die kam schon vor dem Krieg, und wir selbst und nicht die politische Situation waren dran schuld. Immer öfter hatte ich das Gefühl, da liegt ein Fremder in meinem Bett, immer mehr baute er eine Mauer um sich herum, da ging nichts hinein, und nichts kam heraus. Wahrscheinlich waren wir zu jung, als wir geheiratet haben, wahrscheinlich haben wir zu wenig voneinander gewusst. Und vielleicht war es auch … Mira bricht ab. Lukas wartet, ich warte. Wir wollten Kinder, sagt Mira schließlich leise, aber es hat irgendwie nicht geklappt. Einmal, ganz am Anfang unserer Ehe, hatte ich eine … Aborta … wie sagt man das? Eine Fehlgeburt. Genau, eine Fehlgeburt, danach kam gar nichts mehr. Ich weiß nicht, an wem oder woran es lag, wir haben uns nicht untersuchen lassen, wir haben gehofft, dass es eines Tages doch noch klappen würde. Und dann kam der Krieg. Als Mladko zur Armee musste, war das ein Schock. Krieg, das war immer etwas weit Entferntes, völlig Unvorstellbares gewesen, und nun waren wir selber mittendrin. In den ersten Monaten hab’ ich Mladko trotz der Probleme, die wir vorher hatten, fürchterlich vermisst, wir waren ja seit unserem sechzehnten Lebensjahr praktisch Tag und Nacht zusammen gewesen. Bald bin ich aber draufgekommen, dass es mir eigentlich besser ging, dass ich mehr ich selber sein konnte, zum ersten Mal in meinem Leben. Das war ein tolles Gefühl, aber gleichzeitig hatte ich ein schlechtes Gewissen, es war … wie ein Verrat an Mladko. In den paar Tagen Urlaub, die er bekam, war er unnahbar, er wollte nichts erzählen. Du willst es gar nicht wissen, sagte er, so schlimm ist es. Normale, alltägliche Dinge erschienen ihm plötzlich völlig unwichtig, auch über die konnte und wollte er nicht sprechen. Wenn ich irgendetwas erzählte, hörte er mir nicht wirklich zu, und so saßen wir meistens schweigend beisammen. Und wenn er wieder weg war, kehrte die Angst zurück. Als ich dann später die Möglichkeit hatte, nach Österreich zu gehen, hatte ich trotz allem das Gefühl, ihn im Stich zu lassen.
Lukas schweigt eine Weile. Aber du
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