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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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ist für Djamila wie für so manche meiner Mitbewohner keine Stadt und kein Land, die auf irgendeiner Landkarte zu finden wären, sondern nur noch ein Ort in jenem entferntesten aller Länder, dem Land der Erinnerung – Grund genug also, von Zeit zu Zeit in Tränen auszubrechen. Wenn dann auch noch Chin für das Mittagessen zuständig ist, dann gibt es erst recht nichts zu lachen. Doch ich merke bald, dass in diesem konkreten Fall andere Ereignisse den Tränenfluss in Gang gesetzt haben: Djamila, so wird bald klar, wurde wieder einmal in der Schule beschimpft und gedemütigt. Diesmal hat man ihr nicht nur das Kopftuch heruntergerissen, man hat ihr auch eine Haarsträhne abgeschnitten. Drei Burschen und zwei Mädchen, die sie schon vom ersten Tag an drangsalierten, waren die Täter, zwanzig weitere gaben die mehr oder weniger gleichgültigen Zuschauer, ihre Freundin Julia und ein gewisser Deepak kamen ihr als Einzige zu Hilfe, doch vergebens: Deepak wurde verprügelt, Julia hat man mit Filzstift das Wort Veräterin auf die Stirn gemalt. Die Idioten wissen nicht, dass man schreibt mit zwei R, schimpft Djamila und hört darüber sogar zu weinen auf. Trotteln, erklärt sich Rotkäppchen solidarisch, obwohl auch sie orthografisch gesehen eher hinter den sieben Zwergenbergen zu Hause ist.
    Wo haben sie geschnitten, fragt Amal. Djamila deutet auf den Haaransatz. Die fehlenden ebenso wie die vorhandenen Haare sind jedoch wieder vom Kopftuch bedeckt, die Schmach unter grünen und blauen Blümchen verborgen. Zakia, die ein wenig verspätet zu uns stößt, verspricht Djamila, mit dem Klassenvorstand und der Direktorin zu telefonieren, ich verspreche, die Sache im neuen Jahr auf meine Weise zu regeln, denn so, meine Damen und Herren, so kann es nicht weitergehen.
    Bald ist Heilige Nacht, Chor der Engel erwacht, hört nur, wie lieblich es schallt, freuet euch, Ali kommt bald, singe ich, nachdem ich mich mit drei Tellern von Pitras köstlicher Yamssuppe gestärkt habe. Der Applaus ist groß, ich fahre fort: Macht hoch die Tür, die Tor’ macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit; ich ernte Bewunderung und bedanke mich mit weiteren Liedern. Schließlich lege ich die Leier zur Seite. Heute, meine Lieben, möchte ich euch eine Weihnachtsgeschichte erzählen, ich hab’ sie der Heldin der Geschichte, sie hört auf den Namen Djamila, von der Stirn abgelesen.
    Djamila wuchs auf in einem der besseren Vororte Bagdads. Ihr Vater war Arzt, und auch die Mutter studierte Medizin, gab das Studium aber nach der Geburt der ersten Tochter auf. Djamila ist die Zweitgeborene, sie erlebt, zumindest im Vergleich mit Millionen anderen in ihrem Land, eine Kindheit ohne Mangel. Als Mangel empfindet ihr Vater höchstens das Ausbleiben von männlichem Nachwuchs, nach der dritten Tochter gibt er ein wenig resigniert auf, mehr Kinder wollen er und seine Frau sich nicht leisten. Sie leben in einem Haus mit kleinem Garten, sie haben genug zu essen, sie besitzen ein Auto, man lässt sie in Frieden leben, auch wenn das Land keine Demokratie kennt. Doch als eines Tages fremde Truppen ins Land kommen und der Diktator gestürzt wird, ist es vorbei mit der Ruhe. Wasser und Strom gibt es bald nur noch sporadisch, das Krankenhaus, in dem Djamilas Vater arbeitet, wird zerstört, das Geld ist von Tag zu Tag weniger wert. Und dann beginnen die Bombenanschläge. Jeder Tag bringt neue Opfer, die Anhänger von Mohammeds Schwiegersohn töten die Anhänger von Mohammeds Schwiegervater und umgekehrt. Häuser und Geschäfte werden geplündert, Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben, ganze Stadtteile und Ortschaften wechseln von einem Tag auf den anderen ihre Bewohner, viele verlieren dabei ihr Leben. Djamilas Familie kann Hals und Kopf, nicht aber Hab und Gut retten. Aus einer gut situierten Familie wird über Nacht eine fünfköpfige Flüchtlingsschar, die nur mit dem Nötigsten bepackt per Auto Richtung Westen flieht. Kurz vor der Grenze kommen sie zu einer Straßensperre, die Angehörigen einer Miliztruppe wollen Geld. Wir haben nichts, sagt der Vater, man hat uns schon alles genommen. Sie glauben ihm nicht, sie durchsuchen ihn, als sie nichts finden, schlagen sie ihn, dann lassen sie alle aussteigen, werfen das Gepäck auf die Straße, ein Mann steigt in das Auto, zwei weitere zerren den Vater hinein. Wartet nicht auf mich, geht nach Damaskus, ruft er seiner Frau zu, dann fahren sie davon. Drei Tage und Nächte wartet die Mutter mit ihren Töchtern in einem nahe

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