Molly Becker 01 - Hilfe, ich bin reich
Polster über das Gesicht legen. »Das gefällt mir«, murmelt er dann und legt sich gleich noch mehr ins Zeug.
Stimmt doch gar nicht. Stimmt überhaupt nicht. So jemanden gibt es, und ich kenne ihn. Gottlieb Baierlein. Jesus , wie wir ihn in der Schule immer genannt haben. Natürlich, das ist der ideale Kandidat! Dass ich nicht gleich darauf gekommen bin!
In meiner Begeisterung entfährt mir ein lautes »Ja, das ist es!«, und Frederic bäumt sich plötzlich auf und stöhnt: »Ja, Baby, ja, das ist es!«
Ein paar Sekunden später wälzt er sich schwer atmend von mir herunter und schrammt bei der Gelegenheit mit seinem stoppeligen Oberkörper über meine Brust. Dann strahlt er mich von der Seite an wie ein kleiner Junge. »Du bist ja ganz schön abgegangen.« Er haut mir grinsend seinen Ellbogen in die Seite. »Gib’s zu, ich war klasse, oder?«
Okay, ist auch so ein Klischee, aber das war wieder mal typisch …
Andererseits hat er sich wirklich bemüht, und er ist so stolz darauf. Und ich habe endlich die Lösung für mein Problem gefunden.
Also erwidere ich sein Lächeln und tätschle seine Wange. »Ja, Schatz, ganz große Klasse«, sage ich sanft.
Frederic lässt zufrieden seinen Kopf auf das Kissen zurücksinken. »Wusste ich’s doch«, seufzt er.
Ob Gottlieb noch bei seinen Eltern wohnt?
Jesus
Es ist schon Ewigkeiten her, dass ich Gottlieb das letzte Mal gesehen habe. Damals in der Schule fiel er zum ersten Mal auf, als er sich mit fünfzehn einen Vollbart und schulterlange Haare wachsen ließ und fortan nur noch in ausgefransten Jeans, alten T-Shirts und Ledersandalen herumlatschte. Er ging dann noch einen Schritt weiter, indem er sein Taschengeld zu verschenken begann, und als er einen Fünf-Mark-Schein, den jemand in der U-Bahn verloren hatte, zum Fundamt brachte, war es nur logisch, dass er irgendwann den Spitznamen Jesus verpasst bekam.
Wenig später offenbarte Gottlieb seine künstlerische Ader. Er begann, abstrakte Bilder zu malen, und stieg in weiterer Folge auf Skulpturen um. Die Lehrer hatten anfangs wenig Freude daran, weil seine Noten rapide schlechter wurden, aber gleichzeitig witterte ein Teil von ihnen auch die Chance, dass eines Tages ein berühmter Künstler aus ihren verstaubten Hallen hervorgehen könnte.
Schließlich konnten sich Gottliebs Befürworter durchsetzen, und zum Abschlussfest wurde eine Ausstellung mit seinen Exponaten in der Aula der Schule organisiert. Natürlich wussten die meisten (mich eingeschlossen) mit den abstrusen Gebilden herzlich wenig anzufangen, bis Gottlieb dann auf ausdrücklichen Wunsch des Direktors das ehrenwerte Lehrerkollegium von Skulptur zu Skulptur führte und mit der Nonchalance eines großen Künstlers erklärte, was er denn nun mit diesen furchterregenden Figuren darzustellen versuche.
Bei den ersten Stücken reckten noch alle neugierig ihre Hälse, und als er zu einem mordshässlichen Teil mit drei Köpfen und sieben Armen, das sich gerade einen alten, zerknautschten Fußball in eines seiner Mäuler stopfte, ausführte, das stelle die unersättliche Menschheit dar, die sich eines Tages die ganze Erde einverleiben werde, rief Herr Strehlmann, der Mathelehrer, beeindruckt aus: »Hört, hört!«
Beim nächsten Kunstwerk, das nur aus einem riesigen, weit aufgerissenen Mund auf einem Podest bestand, fragte jemand, ob das auch wieder die Unersättlichkeit der Menschheit symbolisiere, aber Gottlieb verneinte und erklärte seelenruhig, das sei seine ganz persönliche Darstellung von Herrn Strehlmann, weil der so ein hysterischer Schreihals sei.
Da kam aus dem Hintergrund ein entrüstetes »Unerhört!«, und einige (mich eingeschlossen) kicherten, aber richtig schlimm wurde es, als die Gruppe zu einer Skulptur kam, die aussah wie ein Schwein, das gerade eine Zigarre raucht. Jemand fragte vorsichtig, was das nun sei, und Gottlieb verkündete ohne Umschweife, dies sei sein Lieblingswerk und stelle Direktor Auinger höchstpersönlich dar.
Natürlich gab das einen Eklat sondergleichen, und sosehr man Gottlieb auch bekniete und bedrängte, diese Äußerung zurückzunehmen, er blieb unerschütterlich und erklärte mit stoischer Miene, dass der freie Ausdruck das allerwichtigste Fundament wahrer Kunst sei und er sich niemals dem Diktat der Mächtigen unterwerfen werde.
Natürlich flog er hochkant von der Schule, aber ihn berührte das gar nicht. Ganz im Gegenteil, er zog ins Gartenhaus seiner Eltern und widmete sich von da an einzig und allein seiner
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