Molly Becker 01 - Hilfe, ich bin reich
damit voran?«
»Ganz gut«, sagt er. »Willst du es dir ansehen?«
»Sehr gerne.«
Er führt mich zu einem Vorhang, den er zur Seite schiebt. Dahinter befindet sich offenbar sein Atelier. Ich sehe unzählige Skulpturen aneinandergereiht, und im Vordergrund ragt ein halbfertiger Gipsklotz aus dem Boden, dessen obere Hälfte aus zwei runden Kuppeln mit einem tiefen Krater in der Mitte besteht.
»Was wird das?«, frage ich. »Ein Vulkan?«
»Nein, George Bush«, antwortet er.
Ach ja, ich vergaß. Bei Gottliebs Kunstwerken handelt es sich vorzugsweise um Personen, die er so darstellt, wie er sie sieht. Dann ist das wohl kein Vulkan, sondern … alles klar.
Etwas weiter hinten sehe ich die Schweinefigur von Direktor Auinger, den »Schreihals«-Strehlmann und noch viele andere Gebilde mit den unmöglichsten Körperteilen, bei denen ich sicherheitshalber gar nicht frage, wen Gottlieb damit darstellen wollte.
Doch dann entdecke ich plötzlich etwas, das überhaupt nicht in diese skurrile Sammlung passt: eine nackte Frauenfigur, wunderschön modelliert, mit einem feinen, ebenmäßigen Gesicht wie eine griechische Göttin.
»Wer soll das denn sein?«, frage ich.
»Das bist du«, erklärt Gottlieb.
»Ich?«, frage ich verblüfft. »Aber diese Figur ist … wunderschön.«
»Sie ist so, wie ich dich sehe«, sagt er ernst.
Ich war noch nie so gerührt wie in diesem Moment. »Du meine Güte, Gottlieb, das ist ja so was von … ich wusste gar nicht …«, stammle ich. Beinahe umarme ich ihn vor Freude, doch dann kommen mir Bedenken, dass er das missverstehen könnte. Dann habe ich eine Idee. »Kann ich sie kaufen?«
»Was kaufen?«
»Die Figur. Ich will sie kaufen. Nenn mir einen Preis. Egal, wie viel, ich nehme sie.« Das ist genial. Erstens gefällt mir die Skulptur wirklich, und zweitens kann ich ihm so ein bisschen Geld zukommen lassen. Wird schließlich nicht jeden Tag vorkommen, dass ihm jemand etwas abkaufen will.
Doch er schüttelt den Kopf. »Tut mir leid, meine Werke sind unverkäuflich.«
»Was soll das heißen, unverkäuflich?«, frage ich erstaunt. »Hast du noch nie etwas verkauft?«
»Nein, noch nie.«
»Gab es denn schon Interessenten für deine …«, ich suche nach dem richtigen Wort, um ihn nicht zu beleidigen, »… Kunstwerke?«
»Ja, gab es«, antwortet an seiner Stelle Frau Baierlein, die inzwischen unbemerkt mit einem Tablett in den Händen eingetreten ist. »Stell dir vor, Molly, ein ehemaliger Schulkollege von euch, der jetzt ein erfolgreicher Rechtsanwalt ist«, bei diesen Worten feuert sie einen vorwurfsvollen Blick auf Gottlieb ab, »hat fünfzigtausend Euro für die Statue eures Direktors geboten.«
»Fünfzigtausend?«, echoe ich ungläubig.
Ha, wusste ich’s doch. Ein Mensch, der fünfzigtausend für eine hässliche Statue ausschlägt, ist definitiv nicht an Geld interessiert– und genau der Richtige für meinen Plan.
»Ja, fünfzigtausend. Und Gottlieb hat abgelehnt .« Frau Baierlein zuckt hilflos mit den Schultern. »Und das war nicht das erste Mal. Es kommen andauernd Leute vorbei, die seine Werke kaufen wollen, aber Gottlieb schickt sie alle wieder weg.«
»Kommerzielle Kunst ist keine Kunst, Mama«, sagt Gottlieb mit einer Unerschütterlichkeit, als würde er gerade das Elfte Gebot verkünden.
»Ja, ich weiß, dass du das so siehst, Junge«, murmelt sie resigniert, während sie das Tablett abstellt. Dann sieht sie mich hoffnungsvoll an. »So, jetzt will ich aber nicht länger stören. Hier sind Tee und Plätzchen, und falls ihr sonst noch was braucht, Essen, Getränke …«, ihr Blick huscht zwischen Gottlieb und mir hin und her, und ich hätte mich nicht gewundert, wenn sie noch »Kondome« hinterhergeschoben hätte, »… braucht ihr nur zu läuten.« Sie deutet auf einen Klingelknopf gleich neben der Tür, dann tritt sie den Rückzug an.
Als sie weg ist, stehen Gottlieb und ich unschlüssig da.
»Ja, dann …«, beginne ich.
»Ich schenke dir die Skulptur«, sagt Gottlieb plötzlich.
»Schenken? Nein, Gottlieb, das kann ich nicht annehmen.«
»Doch, ich bestehe sogar darauf. Und ich kann mir ja eine neue machen«, fügt er hinzu.
»Also gut, dann nehme ich sie … als eine Art Leihgabe, einverstanden?«
»Wie du willst«, nickt er zufrieden. Dann betrachtet er mich fragend. »Molly, du bist doch nicht gekommen, um mit mir über meine Kunst zu reden, oder?«
Ich merke, wie meine Wangen rot anlaufen. Was soll’s, wenn er es schon anspricht, kann ich ja
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