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Moloch

Titel: Moloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville , Michael Moorcock , Paul di Filippo , Geoff Ryman
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gestürzt waren. Mit Spitzhacken und Schaufeln vergrößerten die Männer das vorhandene nach Flusswärts weisende Loch, bis es groß genug war, damit sie sich hindurchzwängen konnten.
    Das muffige, stickige Reich hinter der Mauer der Kanalisation ließ keine Anzeichen erkennen, dass hier Menschen jemals Hand angelegt hatten. Ein Gefühl, dass irgendwo in der Ferne der Raum endete, lieferte den einzigen Hinweis auf dessen immense Größe, denn die jämmerlichen Taschenlampen reichten weder bis zur Decke noch bis zu einer der Wände. Doch da weder der Himmel noch die Sterne zu sehen waren, bestand kein Zweifel daran, dass es eine Decke gab.
    »Wo ist der Fluss«, fragte sich Diego nicht zum ersten Mal in seiner Karriere als Schuppenjäger. Befanden sie sich womöglich unterhalb des Flussbetts? Es kam ihm nicht sehr wahrscheinlich vor, denn der Höhenunterschied zwischen dem Bahnsteig und ihrer jetzigen Position betrug bestenfalls drei Meter, und das Flussbett musste wesentlich tiefer sein. Vor Diegos geistigem Auge tauchte auf einmal das Bild eines Bleistifts auf, der auf seinem Schreibtisch lag: War die gesamte Stadt – Fluss, Gleise und alles andere – eine ganz ähnliche unitäre Konstruktion, die auf irgendeinem unvorstellbar größeren Plan lag? Selbst dem Verstand eines professionellen Kosmogonischen Autors wurde bei dieser Vorstellung schwindlig.
    Der Boden dieses neuen Reichs begann gerade tief genug unter ihren Füßen, um dem Abwasserkanal Platz zu bieten. Unter ihrem Standort erstreckte sich eine Fläche aus toten, matten Schuppen, die ihrer schimmernden, den Aberglauben beflügelnden Eigenschaften beraubt worden waren – jener Eigenschaften, die pro Stück zehn Bullen oder sieben Weiber wert waren.
    »Was glaubst du, wo die lebenden anfangen?«
    »Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.« Sie sprangen hinab, die Oberfläche nahm ihr Gewicht mit einer sonderbaren Elastizität auf, und dann machten sie sich auf den Weg.
    Eine nicht mitgezählte Anzahl von Schritten voraus fiel der Lichtschein von Diegos Lampe auf frische Schuppen, überlappende Mosaiksteine, die nicht von Menschenhand verlegt worden waren.
    »Also gut, dann mal an die Arbeit.« Zohar ließ seinen Worten sofort Taten folgen, packte den überstehenden Rand einer Schuppe und zog dann an ihr, als würde er ein Blatt von einer Blüte trennen. Die Schuppe ließ sich leicht lösen, doch sofort bildete sich an der Stelle ein rasch anschwellender Tropfen hellen alizarinsauren Blutes, das beim Kontakt mit der Luft sofort zu kochen und Blasen zu werfen begann, ohne etwas von seiner Substanz einzubüßen. Ein zweiter, ein dritter, ein vierter Tropfen folgten und zwangen Zohar, sich ein paar Schritte von der aggressiven Flüssigkeit zu entfernen, um an anderer Stelle sein Sakrileg fortzusetzen.
    Diego, der die Taschenlampe in der linken Hand hielt, war ebenfalls damit beschäftigt, Schuppen zu ernten, die er dann in seinen Rucksack warf. Und auch er mied sorgfältig das ätzende, zuckersüß riechende Blut, das sich an allen Stellen seiner räuberischen Arbeit sammelte. Er versuchte gleichzeitig, immer ein Gefühl dafür zu bewahren, wo sich ihr Ausgang befand. Der Gedanke, in diesem ungewissen, nicht beschilderten Terrain umherzuirren, bis er verdurstet war, sprach nicht einmal den Funken von romantischer Melancholie an, den Diego besaß.
    Und wenn er hier starb, wie sollten dann die Pompaten jemals seine Seele finden? Diese Überlegung reichte fast aus, um ihn um den Verstand zu bringen.
    Dann endlich waren ihre Rucksäcke voll, und die beiden kamen wieder zusammen. Der See aus brodelndem Blut erstreckte sich nun auf einer Fläche von gut einem Block, ein kochender karmesinroter Sumpf unter den Wurzeln ihrer Welt, ein Sinnbild für ihre Plünderung. Es war kein Wunder, dass die Behörden eine derart räuberische Aktivität ohne Ausnahme missbilligten.
    Trotz seiner überschäumenden Art mussten Zohar ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen sein, denn er sagte zu Diego: »Hast du je von der Legende des Schuppenjägers gehört, der dieses lebende Gestein weitaus heftiger angriff, Dee? Aus irgendeinem Grund – vielleicht auch aus gar keinem Grund – trieb er seine Spitzhacke tief in diesen blutigen Grund. Es heißt, die daraus resultierenden Zuckungen der Stadtbestie haben binnen weniger Sekunden rund eine Million Blocks in Schutt und Asche gelegt.«
    Diego schauderte, dennoch fühlte er sich verpflichtet, die Geschichte zu hinterfragen: »Und

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