Moloch
wo und wann hat sich diese Katastrophe zugetragen? Und warum gibt es in den Annalen von Gritsavage keinen Hinweis auf eine noch so schwache Schockwelle?«
»Zum Wo und Wann kann ich nichts sagen, aber das Warum ist leicht erklärt.«
Zohar machte eine Pause und wartete, bis Diego sich gezwungen sah, zu erwidern: »Tatsächlich?«
»Ja, tatsächlich. Diese Attacke hat sich so weit entfernt und vor so kurzer Zeit zugetragen, dass sich die Schockwelle noch immer auf dem Weg hierher befindet, über die gesamte unbestimmte Länge der Stadt. Ich rechne täglich damit, dass sie hier ankommt.«
Diegos rationaler Verstand verlangte es von ihm, etwas auf diese Behauptung zu erwidern. »Wie kannst du dann von der Katastrophe wissen, bevor die Schockwelle hier eintrifft? Wie kann die Information sich schneller verbreiten als das Ereignis selbst?«
»Oh, hatte ich das vergessen zu erwähnen? Dein hypothetisches System der Kommunikation über Draht – das gibt es schon. Aber nur für die Elite.«
Diego betrachtete den Gesichtsausdruck seines Freundes. Doch auch wenn er Zohar schon sein ganzes Leben kannte, wusste Diego nicht, ob er scherzte oder nicht.
DREI
Soiree und Selbstmord
Im August hatte sich für Zohar Kush und Milagra Eventyr das Blatt in vieler Hinsicht zum Besseren gewendet. Mit dem Geld, das Zohar von Gimlett für seinen Anteil an den Schuppen bekommen hatte – und das in etwa drei Monatsgehältern eines durchschnittlichen Bürgers entsprach –, war das Paar in eine zivilisiertere Gegend umgezogen, ein kleines Apartment gleich über Berms Wäscherei in Gritsavage-841, das aus drei hintereinander gelegenen Räumen bestand und in dem sich der Geruch von Seife und Stärke hielt.
Als hätte die räumliche Nähe zu der Wäscherei ihre Wahrnehmung verändert, waren auch die beiden Liebenden in erheblichem Maß aufgeblüht. In Zohars Fall gestaltete sich diese Veränderung recht einfach, da nur ein Bad und neue Kleidung nötig waren, wie von Diego zuvor schon angedeutet. Milagra war dagegen auch in Sachen Ernährung und medizinischer Betreuung auf Hilfe angewiesen gewesen, Dinge, um die sich Zohar mit liebevollem Eifer gekümmert hatte. Inzwischen war Milagra zwar immer noch recht hager, doch sie war nicht länger dem Tode nahe, und sie hatte sogar etwas von ihrer früheren Attraktivität zurückerlangt.
Nachdem der Heroin-Engpass überwunden war – als die Züge die illegale Droge wieder mitbrachten, übergaben die Zugarbeiter den örtlichen Dealern die Päckchen, während gleichzeitig andere, harmlosere Fracht entladen wurde –, hatte Milagra zu einer relativ gemäßigten Dosis gefunden, die nicht zu Trancezuständen führte und die auch nicht selbstzerstörerisch wirkte.
»Natürlich würde sie gern mehr nehmen«, vertraute Zohar Diego an. »Aber ich erlaube es ihr nicht. Ich habe die Fäden fest in der Hand, und da ich als Einziger arbeite, hat sie in der Sache nichts zu entscheiden.«
Diego vermied es, jene schrecklichen Möglichkeiten zu erwähnen, die es Milagra erlauben könnten, ohne Zohars Wissen selbst Geld zu verdienen.
Zohars neuer Job entsprach nicht seiner fantasievollen Vorhersage, und er musste sich statt mit Lammergeyers Feinen Weinen mit Teagardens Spielhalle zufrieden geben. In eine gestreifte Schürze voller Fünkchen-Münzen gekleidet war es seine Aufgabe, Papiergeld zu wechseln und Skeeball-Gutscheine gegen billige Gewinne einzulösen. Außerdem wischte er den Boden und kümmerte sich um die Maschinen für die Zuckerwatte und das Popcorn. Und er warb dafür, das Lotteriebrett zu benutzen.
»Nenn mich am besten den Impresario der Unreife, Dee, ein wahrer Meister des billigen Nervenkitzels.«
Zohar und Milagra waren im Vergleich zu ihrer jüngeren Vergangenheit so ansehnlich geworden, dass Volusia Bittern nichts dagegen einzuwenden hatte, als Diego vorschlug, das Paar einzuladen und Volusias Beförderung gemeinsam zu feiern. Als neu ernannter Captain der Esmond Casterline Irregulars war Volusia durch ihren Aufstieg so übermütig, und ihr natürlicher Überschwang sprudelte so sehr über, dass Diego eine ganze Heerschar Obdachloser hätte einladen können, ohne sich eine Zurechtweisung einzuhandeln.
An jenem Freitagabend trafen sie sich in Famagustas Hummerhaus, einem recht teuren Lokal, in dem Diego noch nie gewesen war. Er und Volusia trafen als Erste ein, wobei der Autor die Feuerwehrfrau an seinem Arm führte. Diego fand, dass seine Geliebte noch nie so sexy ausgesehen hatte.
Weitere Kostenlose Bücher