Moloch
Er trug einen sommerlichen leichten Leinenanzug, und die Brise fing sich in seiner gewaltigen Mähne. Seine Begleiterin hatte eine langärmelige schwarze Baumwollbluse ausgewählt, dazu eine pechschwarze Drillichhose sowie ein Paar klobige Bremserstiefel. In Verbindung mit ihrem langen, pechschwarzen Haar wirkte sie wie die Braut eines Leichenbestatters. Außerdem hatte sie eine Sonnenbrille aufgesetzt.
Diego und Volusia standen auf und begrüßten die Neuankömmlinge mit Handschlag und Küssen. Nachdem alle vier Platz genommen hatten, erntete Zohar augenblicklich Diegos stilles Lob, als er sagte: »Volusia, du bist eindeutig die schönste Feuerwehrfrau im Rang eines Captains, die Gritsavage je gesehen hat. Mein Glückwunsch!«
Milagra nestelte an einer eingerissenen Ecke ihrer Speisekarte und ergänzte, ohne dabei aufzusehen: »Ja, ganz nett, Kleine.«
»Das verdanke ich alles unserem erlauchten Bürgermeister! Nachdem ich ihn erst mal an den Eiern zu fassen bekommen hatte, lief alles andere wie von selbst! Aber ich werde eure Glückwünsche erst entgegennehmen, wenn wir gleichzeitig anstoßen können. Ober! Ober! Eine Flasche von Ihrem besten Mocambo bitte!«
Der Champagner wurde zügig gebracht, und kurz darauf stießen sie nicht nur auf Volusias Beförderung an, sondern auf jede nur denkbare Leistung, ganz gleich, wie unbedeutend sie auch sein mochte.
»Auf den rotznasigen Lümmel, dessen stecken gebliebene Finger ich heute mit Erfolg aus einem Münzeinwurfschlitz befreit habe!«
»Auf den Lümmel!«
Als ihre bestellten Gerichte – Tabletts mit dampfenden Schalentieren, Teller mit cremiger Muschelsuppe, ganze Berge von goldgelb gebackenen, knusprigen Zwiebelringen – an den Tisch gebracht wurden, waren sie bereits bei der dritten Flasche angelangt. Volusias hemmungsloses Lachen wetteiferte dabei mühelos mit den Schiffsglocken vom Fluss.
»Ach, übrigens«, sagte Volusia, die gerade eine Hummerschere in der Hand hielt. »Diego und ich sind zu einem richtig edlen Ball im Haus des Bürgermeisters eingeladen.«
Diego leckte sich Butter von den Fingern. »Tatsächlich?«
»Ja, ich habe heute die Einladung bekommen. Es ist ein Ball zu Ehren des Bürgermeisters von Palmerdale, der zu Besuch kommt. Heute in einer Woche.«
»Also das ist ja wirklich wunderbar, Vol. Ihr beide klettert auf der gesellschaftlichen Erfolgsleiter ja im Eiltempo nach oben.«
Milagra war zwar hinsichtlich des Champagnerkonsums mit den anderen gleichauf, aber im Vergleich zu ihnen schien ihr Appetit nicht sonderlich groß zu sein. Auf einmal nahm sie verärgert den Hummer, den sie kaum angerührt hatte, und schleuderte ihn zurück in den Fluss. »Mit solchen tumorigen Windeiern und hochtrabenden Scheuchen würde ich nicht mal meine Zeit verbringen, wenn man mich dafür bezahlen würde!«
Bevor Volusia darauf reagieren konnte, verkündete Diego die Neuigkeit, die er bislang zurückgehalten hatte.
»Morgen habe ich ein Treffen mit meinem Redakteur und dem Verleger. Sie wollen eine Sammlung meiner Kurzgeschichten als Buch veröffentlichen.«
Diese Ankündigung erzielte genau die erwünschte Wirkung. Volusia stieß mehrere laute Triumphrufe aus und nahm Diego in die Arme. Zohar umarmte spontan die beiden, nur Milagra blieb auf ihrem Platz sitzen und schien von der Freude der anderen nichts wahrzunehmen.
Der Rest des Abends war eine ausgelassene, von Champagner angeheizte Feier, gegen die sich lediglich Milagra als immun erwies. Vielmehr schien jedes weitere Glas sie immer tiefer in einen melancholischen Dämmerzustand versinken zu lassen – eine Stimmung, die Diego aus einem unerfindlichen Grund an den See aus schäumendem Blut erinnerte, der sich an den Wurzeln der Stadt sammelte.
Die schäbigen, aber geliebten Büros von Mirror Worlds beanspruchten eine Ecke der ersten Etage im gleichen Haus, in dem auch die Muttergesellschaft Pinney Publishing untergebracht war. Im Erdgeschoss standen die Druckmaschinen, auf denen Diegos Lieblingsmagazin und auch andere Pinney-Publikationen entstanden. Wer dieses gigantische Gebäude betrat, das einen kompletten Block umfasste, der wurde sofort von der lautstarken, vibrierenden Kraft der ununterbrochen arbeitenden, gewaltigen Druckmaschinen vereinnahmt. Welchen Status jemand bei Pinney genoss, ließ sich daran ablesen, wie weit sein Büro vom Lärm der Druckerei entfernt war. Winslow Compounces Büro, das unmittelbar über den noch relativ leisen Setzmaschinen gelegen war, schnitt von der
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