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Moloch

Titel: Moloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville , Michael Moorcock , Paul di Filippo , Geoff Ryman
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hatte man keine Kinder mehr gesehen.
    Sie patrouillierten den Park, und wenn sie Menschen sahen, die vom Feind verfolgt oder gemordet wurden, griffen sie ein, im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Sie unternahmen kleinere Vorstöße in die von mordlüsternen Imagos heimgesuchten Straßen, auf der Suche nach Überlebenden. »Wir wissen, wo welche sind – in einer Schule oben auf dem Hügel, wahrscheinlich – aber wir können nicht hin. In der U-Bahn-Station haben sich Vampire eingenistet.« Das war Sholl bekannt.
    Die Vampire und andere Imagos hielten sich bis jetzt von Grünanlagen fern, deshalb waren die dort verschanzten Truppen noch am Leben, aber es konnte sich nur um eine Galgenfrist handeln. Jederzeit war damit zu rechnen, dass der Feind seine Zurückhaltung aufgab. Die Soldaten gingen Patrouille und warteten und suchten mit ihren billigen Funkgeräten den Äther ab und warteten.
    »Was ist eigentlich passiert?«
    Die Frage schlug mitten in Sholls eigene Erkundigungen nach den Gewohnheiten der Soldaten – wie viele, wie oft, wo, warum. Für den Mann, der sie gestellt hatte, gab es keine Veranlassung, von Sholl eine schlüssige Antwort zu erwarten – es war ein Zivilist mit Allerweltsgesicht, der bei den Soldaten saß. Doch er wiederholte seine Frage, und andere schlossen sich ihm an, und Sholl wusste, er kam um eine Erwiderung nicht herum.
    »Was ist passiert? Wo sind sie hergekommen? Was ist passiert?«
    Sholl schüttelte den Kopf.
    »Aus den Spiegeln«, sagte er und sagte ihnen damit, was sie längst wussten. »Aus der Spiegelhaut.«
     
    Er griff zu dem Vokabular aus seinen Physikbüchern, ein Jargon aus Gesetzen und Lehrsätzen mit den Namen der Lebenden und Toten, die sie aufgestellt hatten, und gab sich den Anschein, ihn fließend zu beherrschen. Ein unfairer Trick. Er sagte ihnen (bereute das Fachchinesisch, kaum dass er zu sprechen begonnen hatte), nach wie vor sei en eins sinus theta eins gleich en zwei sinus theta zwei. Außer in besonderen Fällen.
    Außer, en eins ist gleich minus en zwei. Außer im Falle von Reflexion.
    Man hat das so genannte Phong-Modell, dozierte Sholl. Dabei handelt es sich um ein Diagramm, ein Modell, das zeigt, wie Licht sich bewegt. Je glänzender die Oberfläche, desto schärfer und heller das reflektierte Licht, desto begrenzter der Bereich, innerhalb dessen es sichtbar ist. Ursprünglich demonstrierte das Modell, auf welche Weise Licht von Beton, Papier, Metall, Glas zurückgeworfen wird, der Winkel spekularer Reflexion schrumpft, sich dem Inzidenzwinkel nähert, der Glanzfleck heller wird, je spiegelnder die Oberfläche ist.
    Doch etwas geschah, und jetzt beschreibt Phong einen sich drehenden Schlüssel.
    Früher war es eine Gleitskala. Asymptotisch. Eine endlose Annäherung an unendlich oder null. Heute ist es eine Schwelle. Während die Diffusion der reflektierten Helligkeit abnimmt, während der Ausfallswinkel sich verringert und dem des Einfalls gleicher wird, nähert er sich einem entscheidenden Punkt, wird er zu einer Änderung des Zustands. Erklärte Sholl. Bis ein kritischer Moment erreicht ist: Bis Licht auf eine hochglänzende Fläche trifft und alles sich wandelt und das Licht ein Tor öffnet, und was ein Spiegel war, ist eine Tür.
    Spiegel wurden Türen, und etwas kam hindurch.
    »Das wissen wir«, rief einer der Männer. »Das wissen wir schon. Sag uns, was passiert ist. Sag uns, wie es passiert ist.«
    Dazu war Sholl nicht in der Lage. Er konnte ihnen nichts sagen, was sie nicht längst von den Vampiren gehört hatten, wenn diesen der Sinn danach stand, sie mit Hohn und Spott zu überschütten. Sie waren die begreifbarsten von den verschiedenen Imagos.
    Trotzdem blieben die Soldaten sitzen, hielten unverwandt den Blick auf ihn gerichtet. Sie wollten mit aller Kraft, dass er jemand Besonderer war, wollten ihm liebend gern die Unzulänglichkeit vergeben. Sie stellten ihm Fragen, die ihm erlaubten, ausweichend zu antworten, wissend zu erscheinen, ohne definitiv zu werden. Er hatte Londons Ruinen durchstreift, die sie nur als Panorama kannten. Er konnte ihnen viel mehr über die Situation in der Stadt berichten, als sie bei ihren zaghaften und zwecklosen Ausfällen in Erfahrung zu bringen vermochten.
    »Ich brauche eure Hilfe«, verkündete Sholl plötzlich. Viele schauten zur Seite. Der Offizier hielt Sholls Blick fest. »Ich habe einen Plan. Ich kann dem hier ein Ende machen. Aber dazu bin ich auf eure Unterstützung angewiesen.«
    Die Männer und Frauen

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