Mømø im Legøland
zu pinkeln. Da mir niemand helfen wollte, pißte ich auf den Fußboden des Klassenzimmers, in dem die Musterung stattfand, und irgendeine arme Sau mußte das aufwischen. Alle fluchten, weil es so stank. Bei der ersten Liegestütze brach ich wimmernd zusammen, deswegen verlangte der Arzt einige Kniebeugen, obwohl er sich über meine ungewöhnlich heftige Transpiration wunderte. Also ging ich langsam in die Knie, aber hoch kam ich nicht mehr. Statt dessen, und wegen der körperlichen Belastung, wirkte das Abführmittel, und ich schiß mir mit Genuß in die Unterhosen, daß es überall rausquoll. Der Arzt warf mich raus, und ich habe von den Brüdern nie wieder etwas gehört.
Jetzt nähere ich mich dem exerzierenden Trupp und einem bellenden Loriot-Männchen, das sich die Choreographie dieses Männerballetts ausdenkt.
Alte Offiziersweisheit: »Will man die Seele eines Soldaten beherrschen, muß man zuerst seinen Leib beherrschen.«
Aber wie kann man das? Durch ununterbrochenes Exerzieren.
(Auch Michail Bakunin hat den deutschen Offizier ganz entschieden in sein revolutionäres Herz geschlossen:
»Man schaue sich nur diese zivilisierte Bestie, diesen Lakaien aus Überzeugung und Henker aus Berufung an! Für eine reguläre Armee kann man sich wirklich nichts Besseres vorstellen als den deutschen Offizier. Ein Mensch, der in sich Gelehrsamkeit mit Schurkerei verbindet und Schurkerei mit Tapferkeit, strenge Pflichterfüllung mit der Fähigkeit zur Eigeninitiative, Korrektheit und Bestialität, und Bestialität mit einer eigentümlichen Rechtschaffenheit, eine schwächliche Überspanntheit mit seltener Unterwürfigkeit unter den Willen der Obrigkeit, ein Mensch, der immer bereit ist, Dutzende, Hunderte und Tausende von Menschen auf das geringste Zeichen seiner Vorgesetzten abzuschlachten oder kurz und klein zu schlagen, der still, bescheiden, friedfertig und gehorsam ist, vor den Vorgesetzten stets stramm steht, der zu den Soldaten hochmütig, kühl herablassend und wenn nötig auch grausam ist, ein Mensch, dessen ganzes Leben sich mit zwei Worten ausdrücken läßt: gehorchen und kommandieren. Ein solcher Mensch ist für die Armee und den Staat unersetzlich.
Den deutschen Offizier und überhaupt jeden Offizier einer regulären Armee kann man den privilegierten Wachhund der privilegierten Klassen nennen. Und wie bei einem guten Wachhund sträuben sich beim deutschen Offizier die Haare beim bloßen Gedanken an die Volksmassen. Seine Vorstellungen von den Rechten und Pflichten des Volkes sind äußerst patriarchalisch. Seiner Meinung nach muß das Volk arbeiten, damit die Herren etwas zum Anziehen und zum Essen haben.«)
Dabei fällt mir der Vorsitzende des Schriftstellerverbandes in Schleswig-Holstein ein: Dieser ehemalige Offizier hat seinen untergebenen Schriftstellern erst kürzlich die Prinzipien der »Inneren Führung« bei der Verbandsarbeit eingebläut...
Der Offizier läßt seinen zu drillenden Haufen »kehrt« machen, die Jungs sollen mich nicht sehen, das ist klar.
Ich versuche, im Stechschritt zwischen ihm und der Truppe zu paradieren, aber das kommt mir dann doch zu blöde vor.
Er ist aus dem militärischen Gleichgewicht gebracht, befiehlt »Im Gleichschritt — Marsch!«, und die Vaterlandsverteidiger marschieren auf ihre Kaserne los.
Ich gehe ziemlich dicht an dem Offizier vorbei und sage freundlich: »Guten Morgen, Chef.« Das macht ihn psychologisch völlig fertig, so daß er artig ebenfalls »Guten Morgen« sagt.
Ich lasse ihn einfach stehen und ziehe weiter, spüre aber im Nacken, wie er mir fassungslos hinterherstarrt. Riskiere einen kurzen Blick zurück über die rechte Schulter und sehe, wie die durch keinen Befehl gebremsten gemeinen Soldaten gegen ihre Kaserne prallen und übereinander purzeln. Das muß den Offizier aus seiner Lethargie geweckt haben, denn er beginnt, fürchterlich zu pöbeln:
»Ihr Rotzlöffel, keine Augen im Kopf, mit sowas soll man nun den nächsten Krieg gewinnen, Ausgangssperre, Dauerlauf...«
Aber da bin ich schon dabei, das Kasernengelände zu verlassen. Am Hinterausgang öffnet mir ein Wachhabender bereitwillig den Schlagbaum.
29.
Wenn die Leute vernünftig mit ihrer Desoxyribonukleinsäure umgehen könnten, hätten sie keine Begräbnisprobleme. Aber nein, weil sie diese ihre DNS nicht im Griff haben, kultivieren sie den Tod zur saisonübergreifenden Mode.
Ihre Hirnzellen sterben ab, Hunderte in jeder Minute, obwohl sie die Fähigkeit besitzen, sich zu
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