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Momo

Momo

Titel: Momo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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Tisches erhob sich. Das Gemurmel erstarb, und zwei endlose Reihen grauer Gesichter wandten sich ihm zu.
„Meine Herren“, begann er, „unsere Lage ist ernst. Ich sehe mich gezwungen, Sie alle unverzüglich mit den bitteren, aber unabänderlichen Tatsachen bekannt zu machen.
Bei der Jagd nach dem Mädchen Momo haben wir nahezu alle unsere verfügbaren Agenten eingesetzt. Diese Jagd dauerte im ganzen sechs Stunden, dreizehn Minuten und acht Sekunden. Alle beteiligten Agenten mußten dabei unvermeidlich ihren eigentlichen Daseinszweck, nämlich Zeit einzubringen, vernachlässigen. Zu diesem Ausfall kommt jedoch noch die Zeit, welche während der Suche von unseren Agenten selbst verbraucht worden ist.
Aus diesen beiden Minusposten ergibt sich ein Zeitverlust, der nach ganz exakten Berechnungen dreimilliardensiebenhundertachtunddreißigmillionenzweihundertneunundfünfzigtausendeinhundertvierzehn Sekunden beträgt.Meine Herren, das ist mehr als ein ganzes Menschenleben! Ich brauche wohl nicht erst zu erklären, was das für uns bedeutet.“ Er machte eine Pause und wies mit großer Gebärde auf eine riesige Stahltür mit vielfachen Nummern- und Sicherheitsschlössern an der Stirnseite des Saales in der Wand.
„Unsere Zeit-Speicher, meine Herren“, rief er mit erhobener Stimme, „sind nicht unerschöpflich! Wenn die Jagd sich wenigstens gelohnt hätte! Allein, es handelt sich um völlig nutzlos vertane Zeit! Das Mädchen Momo ist uns entkommen.
Meine Herren, ein zweites Mal darf so etwas einfach nicht mehr geschehen. Ich werde mich jeder weiteren Unternehmung von derartig kostspieligen Ausmaßen auf das entschiedenste widersetzen. Wir müssen sparen, meine Herren, nicht verschleudern! Ich bitte Sie also, alle weiteren Pläne in diesem Sinne zu fassen. Mehr habe ich nicht zu sagen. Danke.“
Er setzte sich und stieß dicke Rauchwolken aus. Erregtes Flüstern ging durch die Reihen.
Nun erhob sich ein zweiter Redner am anderen Ende der langen Tafel, und alle Gesichter wandten sich ihm zu.
„Meine Herren“, sagte er, „uns allen liegt das Wohlergehen unserer Zeit-Spar-Kasse gleichermaßen am Herzen. Es scheint mir jedoch völlig unnötig, daß wir uns von der ganzen Angelegenheit beunruhigen lassen oder gar so etwas wie eine Katastrophe daraus machen.
Nichts ist weniger der Fall. Wir alle wissen, daß unsere Zeit-Speicher schon so gewaltige Vorräte beherbergen, daß selbst ein Vielfaches des erlittenen Verlustes uns nicht ernstlich in Gefahr bringen könnte. Was ist für uns schon ein Menschenleben? Wahrhaftig eine Kleinigkeit! Dennoch stimme ich mit unserem verehrten Vorsitzenden darin überein, daß sich etwas Derartiges nicht wiederholen sollte. Aber ein Vorfall wie der mit dem Mädchen Momo ist völlig einmalig. Etwas Ähnliches ist bisher noch nie geschehen, und es ist höchst unwahrscheinlich, daß es je ein zweites Mal geschehen wird.
Schließlich hat der Herr Vorsitzende mit Recht getadelt, daß uns das Mädchen Momo entkommen ist. Aber was wollten wir denn mehr, als dieses Kind unschädlich machen? Nun, das ist doch vollkommen erreicht! Das Mädchen ist verschwunden, aus dem Bereich der Zeit geflohen! Wir sind es los. Ich denke, wir können mit diesem Ergebnis zufrieden sein.“
Der Redner setzte sich selbstgefällig lächelnd. Von einigen Seiten war schwacher Beifall zu hören.
Nun erhob sich ein dritter Redner in der Mitte des langen Tisches. „Ich will mich kurz fassen“, erklärte er mit verkniffenem Gesicht. „Ich halte die beruhigenden Worte, die wir eben gehört haben, für unverantwortlich. Dieses Kind ist kein gewöhnliches Kind. Wir alle wissen, daß es über Fähigkeiten verfügt, die uns und unserer Sache höchst gefährlich werden können. Daß der ganze Vorfall bisher einmalig ist, beweist keineswegs, daß es sich nicht wiederholen kann. Wachsamkeit ist geboten! Wir dürfen uns nicht eher zufriedengeben, als bis wir dieses Kind wirklich in unserer Gewalt haben. Nur so können wir sicher sein, daß es uns nie wieder schaden wird. Denn da es den Bereich der Zeit verlassen konnte, kann es auch jeden Augenblick zurückkehren. Und es wird zurückkehren!“
Er setzte sich. Die anderen Herren des Vorstandes zogen die Köpfe ein und saßen geduckt da.
„Meine Herren“, ergriff nun ein vierter Redner, der dem dritten gegenübersaß, das Wort, „entschuldigen Sie, aber ich muß es nun doch in aller Deutlichkeit aussprechen: Wir gehen fortwährend um den heißen Brei herum. Wir müssen der Tatsache

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