Momo
ist?“
„Aber stell dir vor, wenn sie's nicht ist“, fuhr Gigi fort, „wenn sie vielleicht wirklich nur ein bißchen herumstrolcht und du hetzt ihr die Polizei auf den Hals. Ich möchte nicht in deiner Haut stecken, wenn sie dich dann zum letzten Mal anschaut.“
Beppo sank auf einen Stuhl am Tisch nieder und legte das Gesicht auf die Arme.
„Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll“, stöhnte er, „ich weiß es einfach nicht.“
„Ich finde“, meinte Gigi, „wir sollten auf jeden Fall bis morgen oder übermorgen warten, ehe wir was unternehmen. Wenn sie dann immer noch nicht zurück ist, können wir ja zur Polizei gehen. Aber wahrscheinlich ist bis dahin alles längst wieder in Ordnung, und wir lachen alle drei über den ganzen Unsinn.“
„Meinst du?“ murmelte Beppo, den auf einmal eine steinerne Müdigkeit übermannte. Für den alten Mann war es heute ein bißchen viel gewesen.
„Aber sicher“, antwortete Gigi und zog Beppo den Schuh von dem verstauchten Fuß. Er half ihm auf das Lager hinüber und packte den Fuß in ein nasses Tuch.
„Wird schon wieder werden“, sagte er sanft, „wird alles wieder werden.“
Als er sah, daß Beppo schon eingeschlafen war, seufzte er und legte sich selbst auf den Fußboden, seine Jacke als Kissen unter den Kopf geschoben. Aber schlafen konnte er nicht.
Die ganze Nacht mußte er an die grauen Herren denken. Und zum ersten Mal in seinem bisher so unbekümmerten Leben überfiel ihn Angst.
Aus der Zentrale der Zeit-Spar-Kasse war der Befehl zum Großeinsatz gegeben worden.
Sämtliche Agenten in der großen Stadt hatten Anweisung erhalten, jede andere Tätigkeit zu unterbrechen und sich ausschließlich mit der Suche nach dem Mädchen Momo zu beschäftigen. In allen Straßen wimmelte es von den grauen Gestalten; sie saßen auf den Dächern und in den Kanalisationsschächten, sie kontrollierten unauffällig die Bahnhöfe und den Flugplatz, die Autobusse und die Straßenbahnen – kurzum, sie waren überall. Aber das Mädchen Momo fanden sie nicht.
„Du, Schildkröte“, fragte Momo, „wo führst du mich eigentlich hin?“ Die beiden wanderten eben durch einen dunklen Hinterhof. „KEINE ANGST!“ stand auf dem Rücken der Schildkröte.
„Hab' ich auch nicht“, sagte Momo, nachdem sie es entziffert hatte. Aber sie sagte es mehr zu sich selbst, um sich Mut zu machen, denn ein wenig bang war ihr schon.
Der Weg, den die Schildkröte sie führte, wurde immer sonderbarer und verschlungener. Sie waren schon durch Gärten gelaufen, über Brücken, durch Unterführungen, Toreinfahrten und Hausflure, ja, einigemale sogar schon durch Keller.
Hätte Momo gewußt, daß ein ganzes Heer von grauen Herren sie verfolgte und suchte, sie hätte vermutlich noch viel mehr Angst gehabt. Aber davon ahnte sie nichts, und deshalb folgte sie geduldig und Schritt für Schritt der Schildkröte auf ihrem scheinbar so verworrenen Weg. Und das war gut. So wie die Schildkröte vorher ihren Weg durch den Straßenverkehr gefunden hatte, schien sie nun auch genau vorauszuwissen, wann und wo die Verfolger auftauchen würden. Manchmal kamen die grauen Herren schon einen Augenblick später an einer Stelle vorüber, an der die beiden eben gewesen waren. Aber sie begegneten ihnen niemals.
„Ein Glück, daß ich schon so gut lesen kann“, sagte Momo ahnungslos, „findest du nicht?“
Auf dem Rückenpanzer der Schildkröte blinkte wie ein Warnlicht die Schrift: „STILL!“
Momo verstand nicht warum, aber sie befolgte die Anweisung. In geringer Entfernung gingen drei dunkle Gestalten vorüber. Die Häuser des Stadtteils, in dem sie jetzt waren, wurden immer grauer und schäbiger. Hohe Mietskasernen, an denen der Verputz abbröckelte, säumten die Straßen voller Löcher, in denen das Wasser stand. Hier war alles dunkel und menschenleer.
In die Zentrale der Zeit-Spar-Kasse kam die Nachricht, daß das Mädchen Momo gesehen worden sei. „Gut“, war die Antwort, „habt ihr sie fest?“
„Nein, sie war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Wir haben ihre Spur wieder verloren.“
„Wie kann das sein?“
„Das fragen wir uns selbst. Irgendwas stimmt da nicht.“
„Wo befand sie sich, als ihr sie gesehen habt?“
„Das ist es ja gerade. Es handelt sich um eine Gegend der Stadt, die uns völlig unbekannt ist.“
„Eine solche Gegend gibt es nicht“, stellte die Zentrale fest. „Offenbar doch. Es ist - wie soll man sagen? - als ob diese Gegend ganz am Rande der Zeit liegt. Und das Kind bewegte
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