Momo
uns da eine große, ja einmalige Gelegenheit entgehen. Ein Sprichwort sagt: Wen man nicht besiegen kann, den soll man sich zum Freunde machen. Nun, warum versuchen wir nicht, das Mädchen Momo auf unsere Seite zu ziehen?“
„Hört, hört!“ riefen einige Stimmen, „erklären Sie das genauer!“
„Es liegt doch auf der Hand“, fuhr der Redner fort, „daß dieses Kind tatsächlich den Weg zu dem Sogenannten gefunden hat, den Weg, den wir von Anfang an vergeblich gesucht haben! Das Kind könnte also vermutlich jederzeit wieder hinfinden, es könnte uns diesen Weg führen! Dann können wir auf unsere Weise mit dem Sogenannten verhandeln. Ich bin sicher, daß wir sehr schnell mit ihm fertig werden würden. Und wenn wir erst einmal an seiner Stelle sitzen, dann brauchen wir hinfort nicht mehr mühsam Stunden, Minuten und Sekunden zu raffen, nein, wir hätten auf einen Schlag die gesamte Zeit aller Menschen in unserer Gewalt! Und wer die Zeit der Menschen besitzt, der hat unbegrenzte Macht! Meine Herren, bedenken Sie, wir wären am Ziel! Und dazu könnte uns das Mädchen Momo nützen, das Sie alle beseitigen wollen!“
Totenstille hatte sich im Saal ausgebreitet.
„Aber Sie wissen doch“, rief einer, „daß man das Mädchen Momo nicht anlügen kann! Denken Sie doch an den Agenten BLW/553/c! Jeder von uns würde das gleiche Schicksal erleiden!“
„Wer spricht denn von Lügen?“ antwortete der Redner. „Wir werden ihr natürlich unseren Plan offen mitteilen.“
„Aber dann“, schrie ein anderer gestikulierend, „wird sie niemals mitmachen! Das ist ganz undenkbar!“
„Dessen würde ich nicht so sicher sein, mein Bester“, mischte sich nun ein neunter Redner in die Debatte, „wir müßten ihr nur natürlich etwas bieten, das sie verlockt. Ich denke da zum Beispiel daran, ihr selbst soviel Zeit zu versprechen, wie sie nur haben will…“
„Ein Versprechen“, rief der andere dazwischen, „an das wir uns selbstverständlich nicht halten würden!“
„Selbstverständlich doch!“ erwiderte der neunte Redner und lächelte eisig. „Denn wenn wir es nicht ehrlich mit ihr meinen, dann wird sie es heraushören.“
„Nein, nein!“ schrie der Vorsitzende und schlug mit der Hand auf den Tisch, „das kann ich nicht dulden! Wenn wir ihr tatsächlich so viel Zeit geben, wie sie will – das würde uns ja ein Vermögen kosten!“
„Wohl kaum“, beschwichtigte der Redner. „Wieviel kann ein einzelnes Kind schon ausgeben? Gewiß, es wäre ein ständiger kleiner Verlust, aber bedenken Sie doch, was wir dafür bekommen würden! Die Zeit aller Menschen! Das Wenige, das Momo davon verbrauchen könnte, müßten wir eben als Spesen auf das Unkostenkonto buchen. Bedenken Sie die ungeheuren Vorteile, meine Herren!“ Der Redner setzte sich, und alle bedachten die Vorteile. „Trotzdem“, sagte der sechste Redner schließlich, „es geht nicht.“
„Wieso?“
„Aus dem einfachen Grund, weil dieses Mädchen leider sowieso schon soviel Zeit hat, wie es nur will. Es ist zwecklos, sie mit etwas bestechen zu wollen, das sie im Überfluß besitzt.“
„Dann müssen wir sie ihr eben zuerst wegnehmen“, erwiderte der neunte Redner.
„Ach, mein Bester“, sagte der Vorsitzende müde, „wir drehen uns im Kreis. Wir können doch nicht an das Kind herankommen. Das ist es ja gerade.“
Ein Seufzer der Enttäuschung ging durch die lange Reihe der Vorstandsmitglieder.
„Ich hätte einen Vorschlag“, meldete sich ein zehnter Redner. „Mit Ihrer Erlaubnis?“
„Sie haben das Wort“, sagte der Vorsitzende.
Der Herr machte eine kleine Verbeugung zum Vorsitzenden und fuhr fort: „Dieses Mädchen ist angewiesen auf seine Freunde. Sie liebt es, ihre Zeit anderen zu schenken. Aber überlegen wir einmal, was aus ihr würde, wenn einfach niemand mehr da wäre, um ihre Zeit mit ihr zu teilen? Da das Mädchen freiwillig unsere Pläne nicht unterstützen wird, sollten wir uns einfach an ihre Freunde halten.“
Er zog aus seiner Aktentasche einen Ordner und schlug ihn auf: „Es handelt sich vor allem um einen gewissen Beppo Straßenkehrer und einen Gigi Fremdenführer. Und dann ist hier noch eine längere Liste von Kindern, die sie regelmäßig aufsuchen. Sie sehen, meine Herren, keine große Sache! Wir werden einfach alle diese Personen so von ihr abziehen, daß sie sie nicht mehr erreichen kann. Dann wird die arme kleine Momo völlig allein sein. Was wird ihr ihre viele Zeit dann noch bedeuten? Eine Last, ja, sogar ein Fluch! Früher
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