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Momo

Momo

Titel: Momo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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Mitte befand sich ein großes grünes Tor, das kunstvoll mit Figuren bedeckt war. Momo blickte zu dem Straßenschild hinauf, das sich gleich über ihr an der Wand befand. Es war aus weißem Marmor, und auf ihm stand in goldenen Lettern: NIEMALS-GASSE. Momo hatte mit Schauen und Buchstabieren nur ein paar Augenblicke gesäumt, dennoch war die Schildkröte nun schon weit voraus, fast am Ende der Gasse vor dem letzten Haus.
„Warte doch auf mich, Schildkröte!“ rief Momo, aber sonderbarerweise konnte sie ihre eigene Stimme nicht hören. Dagegen schien die Schildkröte sie gehört zu haben, denn sie blieb stehen und schaute sich um. Momo wollte ihr folgen, aber als sie nun in die Niemals-Gasse hineinging, war es ihr plötzlich, als ob sie unter Wasser gegen einen mächtigen Strom angehen müsse, oder gegen einen gewaltigen und doch unspürbaren Wind, der sie einfach zurückblies. Sie stemmte sich schräg gegen den rätselhaften Druck, zog sich an Mauervorsprüngen weiter und kroch manchmal auf allen vieren. „Ich komm' nicht dagegen an!“ rief sie schließlich der Schildkröte zu, die sie klein am anderen Ende der Gasse sitzen sah, „hilf mir doch!“ Langsam kam die Schildkröte zurück. Als sie schließlich vor Momo saß, erschien auf ihrem Panzer der Rat: „RÜCKWÄRTS GEHEN!“ Momo versuchte es. Sie drehte sich um und ging rückwärts. Und plötzlich gelang es ihr, ohne jede Schwierigkeit weiterzukommen. Aber es war höchst merkwürdig, was dabei mit ihr geschah. Während sie nämlich so rückwärts ging, dachte sie zugleich auch rückwärts, sie atmete rückwärts, sie empfand rückwärts, kurz - sie lebte rückwärts! Schließlich stieß sie gegen etwas Festes. Sie drehte sich um und stand vor dem letzten Haus, das die Straße quer abschloß. Sie erschrak ein wenig, weil die figurenbedeckte Tür aus grünem Metall von hier aus nun plötzlich ganz riesenhaft erschien.
„Ob ich sie überhaupt aufkriege?“ dachte Momo zweifelnd. Aber im selben Augenblick öffneten sich schon die beiden mächtigen Torflügel. Momo blieb noch einen Moment lang stehen, denn sie hatte über der Tür ein weiteres Schild entdeckt. Es wurde von einem weißen Einhorn getragen, und auf ihm war zu lesen: DAS NIRGEND-HAUS. Da Momo nicht besonders schnell lesen konnte, waren die beiden Torflügel schon wieder dabei, sich langsam zu schließen, als sie fertig war. Sie huschte rasch noch hindurch, dann schlug das gewaltige Tor mit leisem Donner hinter ihr zu.
Sie befand sich jetzt in einem hohen, sehr langen Gang. Links und rechts standen in regelmäßigen Abständen nackte Männer und Frauen aus Stein, welche die Decke zu tragen schienen. Von der geheimnisvollen Gegenströmung war hier nichts mehr zu bemerken.
Momo folgte der Schildkröte, die vor ihr herkrabbelte, durch den langen Gang. An dessen Ende blieb das Tier vor einem sehr kleinen Türchen sitzen, gerade groß genug, daß Momo gebückt durchkommen konnte, „WIR SIND DA“ stand auf dem Rückenpanzer der Schildkröte. Momo hockte sich nieder und sah direkt vor ihrer Nase auf der kleinen Tür ein Schildchen mit der Aufschrift: MEISTER SECUNDUS MINUTIUS HORA. Momo holte tief Atem und drückte dann entschlossen auf die kleine Klinke. Als das Türchen sich öffnete, wurde ein vielstimmiges musikalisches Ticken und Schnarren und Klingen und Schnurren von drinnen hörbar. Das Kind folgte der Schildkröte, und die kleine Tür fiel hinter ihnen ins Schloß.

ELFTES KAPITEL:  Wenn Böse aus dem Schlechten das Beste machen.

Im aschengrauen Licht endloser Gänge und Nebengänge huschten die Agenten der Zeit-Spar-Kasse umher und flüsterten sich aufgeregt das Neueste zu: Sämtliche Herren des Vorstandes waren zu einer außerordentlichen Sitzung zusammengetreten! Das konnte nur bedeuten, daß größte Gefahr vorhanden war, so folgerten die einen.
Das konnte nur heißen, daß ungeahnte neue Möglichkeiten des Zeitgewinns sich ergeben hatten, schlossen die anderen daraus. Im großen Sitzungssaal tagten die grauen Herren des Vorstandes. Sie saßen einer neben dem anderen an einem schier endlosen Konferenztisch.
Jeder hatte wie immer seine bleigraue Aktentasche bei sich, und jeder rauchte seine kleine graue Zigarre. Nur die runden steifen Hüte hatten sie abgelegt, und nun war zu sehen, daß sie alle spiegelnde Glatzen hatten.
Die Stimmung – soweit man bei diesen Herren überhaupt von so etwas wie Stimmung reden konnte – war allgemein gedrückt. Der Vorsitzende am Kopfende des langen

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