Momo
erstes ging Momo nun hin und öffnete die kleine innere Tür, auf der Meister Horas Name stand. Dann lief sie geschwind durch den Gang mit den großen Steinfiguren und machte auch die äußere große Tür aus grünem Metall auf. Sie mußte all ihre Kraft aufwenden, denn die riesigen Torflügel waren sehr schwer.
Als sie damit fertig war, lief sie in den Saal mit den unzähligen Uhren zurück und wartete, Kassiopeia auf dem Arm, was nun geschehen würde.
Und dann geschah es! Es gab plötzlich eine Art Erschütterung, die aber nicht den Raum beben machte, sondern die Zeit, ein Zeit-Beben sozusagen. Es gibt keine Worte dafür, wie sich das anfühlte. Dieses Ereignis wurde von einem Klang begleitet, wie ihn zuvor noch nie ein Mensch gehört hat. Es war wie ein Seufzen, das aus der Tiefe von Jahrhunderten kam.
Und dann war alles vorüber.
Im gleichen Augenblick hörte das vielstimmige Ticken und Schnarren und Klingen und Schlagen der unzähligen Uhren ganz plötzlich auf.
Die schwingenden Perpendikel blieben stehen, wie sie eben standen.
Nichts, gar nichts regte sich mehr. Und eine Stille breitete sich aus, so vollkommen, wie sie nie und nirgends zuvor auf der Welt geherrscht hatte. Die Zeit hatte aufgehört.
Und Momo wurde gewahr, daß sie in ihrer Hand eine wunderbare, sehr große Stunden-Blume trug. Sie hatte nicht gefühlt, wie diese Blume in ihre Hand hineingekommen war. Sie war einfach ganz plötzlich da, als sei sie immer schon da gewesen.
Vorsichtig machte Momo einen Schritt. Tatsächlich, sie konnte sich bewegen, mühelos wie immer. Auf dem Tischchen standen noch die Reste des Frühstücks. Momo setzte sich auf eines der Polsterstühlchen, aber die Polster waren jetzt hart wie Marmelstein und gaben nicht mehr nach. In ihrer Tasse war noch ein Schluck Schokolade, aber das Täßchen war nicht mehr von der Stelle zu bewegen. Momo wollte den Finger in die Flüssigkeit tauchen, aber sie war hart wie Glas. Das gleiche war mit dem Honig. Sogar die Brotkrümchen, die auf dem Teller lagen, waren vollkommen unbeweglich. Nichts, nicht die winzigste Kleinigkeit konnte jetzt mehr verändert werden, wo es keine Zeit mehr gab. Kassiopeia strampelte, und Momo schaute sie an. „ABER DEINE ZEIT VERLIERST DU!“ stand auf ihrem Rückenpanzer. Um Himmels willen, ja! Momo raffte sich auf. Sie lief durch den Saal, schlüpfte durch das kleine Türchen, lief weiter durch den Gang und spähte bei der großen Tür um die Ecke und fuhr im gleichen Augenblick zurück. Ihr Herz begann rasend zu klopfen. Die Zeit-Diebe liefen gar nicht fort! Im Gegenteil, sie kamen durch die Niemals-Gasse, in der ja nun auch die rückwärtslaufende Zeit aufgehört hatte, auf das Nirgend-Haus zu! Das war im Plan nicht vorgesehen gewesen! Momo rannte zurück in den großen Saal und versteckte sich, mit Kassiopeia im Arm, hinter einer großen Standuhr. „Das fängt ja schon gut an“, murmelte sie.
Dann hörte sie die Schritte der grauen Herren draußen im Gang hallen. Einer nach dem anderen zwängte sich durch das kleine Türchen, bis ein ganzer Trupp von ihnen im Saal stand. Sie schauten sich um. „Eindrucksvoll!“ sagte einer von ihnen. „Das ist also unser neues Heim.“
„Das Mädchen Momo hat uns die Tür geöffnet“, sagte eine andere aschengraue Stimme, „ich habe es genau beobachtet. Ein vernünftiges Kind! Ich bin gespannt, wie sie es angestellt hat, den Alten herumzukriegen.“
Und eine dritte, ganz ähnliche Stimme antwortete: „Nach meiner Ansicht hat der Sogenannte selbst klein beigegeben. Denn daß der Zeit-Sog in der Niemals-Gasse ausgesetzt hat, kann nur bedeuten, daß er ihn abgestellt hat. Er hat also eingesehen, daß er sich uns fügen muß. Jetzt werden wir kurzen Prozeß mit ihm machen. Wo steckt er denn?“ Die grauen Herren sahen sich suchend um, dann sagte plötzlich einer von ihnen, und seine Stimme klang noch eine Spur aschenfarbener: „Da stimmt was nicht, meine Herren! Die Uhren! Sehen Sie sich doch nur die Uhren an! Sie stehen alle. Sogar die Sanduhr hier.“
„Er hat sie eben angehalten“, meinte ein anderer unsicher. „Eine Sanduhr kann man nicht anhalten!“ rief der erste. „Und doch, sehen Sie nur, meine Herren, der rinnende Sand ist mitten im Fall stehengeblieben! Man kann die Uhr auch nicht bewegen! Was bedeutet das?“
Noch während er redete, klangen laufende Schritte aus dem Gang herein, dann quetschte sich ein weitere grauer Herr aufgeregt gestikulierend durch die kleine Tür und rief: „Soeben ist
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